Handwerk Special 57 vom 11.09.1997


Es boomt!

Zwei Handwerker & ihr Wirtschaftswunder

Wirtschaftswunder fallen nicht vom Himmel. Sie werden auch nicht auf Bestellung geliefert. Und die, die sie anhand von Zahlen "verkünden", erkennen Ergebnisse, wenn die Zahlen längst eine eigene Sprache sprechen. Der Auslöser? Der findet sich in Boppard oder Urmitz wieder, und überall dort, wo Menschen in die Zukunft investieren, neue Betriebe gründen, Mitarbeiter einstellen und Gewinne erzielen. Zwei Wirtschaftswunder aus dem Herbst ´97, zwei Perspektiven.

Ende Juli an der Frankfurter Börse: Es boomt! Börsianer klatschen in die Hände und schauen hinauf zur steigenden Kurve des DAX - des Deutschen Aktienindexes - die auf einen neuen Höchstwert klettert. Noch nie sah es an der Börse um die deutsche Wirtschaft so gut aus, nicht einmal zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Der deutsche Markt zählt wieder was...

Ende Juli in einer Urmitzer Werkhalle: Es boomt! Anton Faßbender klatscht in die Hände und schaut hinauf zum neuen Dach seiner Werkstatt. Noch nie sah sein Neubau so gut aus. Der Unterschied zur börslichen Stimmung: Der Kfz-Mechanikermeister begann mit der Millioneninvestition, als der deutsche Markt nicht viel zählte...

Anton Faßbender

"Der Mittelstand ist Motor einer funktionierenden Wirtschaft" - so das Motto "pro Handwerk", dessen sich gern bedient wird. Handwerker wie Anton Faßbender sorgen mit ihrem Engagement für die Umsetzung. Einer, der für all die Handwerker steht, die mit ihrem Optimismus auf dem Weg in die Selbständigkeit die "große Wirtschaft" von unten heraus zum Laufen bringen und nicht den Kopf in den Sand steckten, als der deutsche Markt nicht so viel zählte....

Dafür hat er einiges geleistet: Seit Monaten keine freien Wochenenden, täglich bis zu 15 Stunden Arbeit in der alten Kfz-Werkstatt und am Neubau parallel, kaum Zeit für die Familie, Kreditaufnahmen, die manch schlaflose Nacht bescherten. Wofür? "Für den Traum, der schon zur Meisterprüfung beflügelte: der eigene Betrieb, Unabhängigkeit und die Zukunft in die eigenen Hände nehmen" - so motivierte sich Handwerker Faßbender auch dann, wenn er eigentlich alles hätte hinschmeißen können.

1988 legte der heute 34jährige seine Meisterprüfung ab, kurz danach gründete er den eigenen Betrieb. Trotz der kleinen Werkstatt konnte sich der junge Unternehmer schon nach kurzer Zeit über einen großen Kundenstamm freuen - Resultat einer Mischung aus Kompetenz, Fleiß und Freundlichkeit. Der Standort an der Ortseinfahrt Urmitz wurde schnell zum Auto-Mekka, ob für rollende Studentenuntersätze oder teure Luxuslimousinen.

"Daran wird sich auch mit der neuen Werkstatt nichts ändern - unsere Hallentore sind für alle offen", so der frischgebackene SEAT-Vertragshändler. Doch nicht nur die neue Kfz-Werkstatt und ihre Einrichtung überzeugen, auch das Konzept des jungen Unternehmers. "Fahrzeug untersuchen - Fehler diagnostizieren - Fehler beheben - weiterfahren." In kurzen Wartezeiten und modernster Ausrüstung an jedem Arbeitsplatz sowie flexiblen Arbeitszeitmodellen sieht der Handwerker die Kfz-Werkstatt der Zukunft. Dafür sollen, bleibt die Auftragslage stabil, auch neue Mitarbeiter eingestellt werden.

Adil Demirates

Auch Adil Demirates aus Boppard wird das Jahr 1997 in seiner persönlichen und beruflichen Laufbahn rot ankreuzen. Nach drei bestandenen Meisterprüfungen (Zitat: "Ich wollte immer alles selber machen") als Kfz-Mechaniker, Karosserie- und Fahrzeugbauer sowie Fahrzeuglackierer soll der eigene Betrieb im Herbst seine Pforten in Buchholz öffnen. Bereits bei der Standortwahl seines "Karosserie- und Lackierzentrums" hat der 41jährige nichts dem Zufall überlassen: direkt an der Autobahn A61 gelegen, weit und breit keine ähnliche Einrichtung, gute Marktchancen bescheinigt längst ein Gutachten. "Mit der HwK-Betriebsberatung fing alles an. Dort informierte man mich über die Vorgehensweise bei der Gründung eines Betriebes, half bei der Vermittlung eines Kredites, nannte Gefahren, die im Zuge der Neugründung auftreten können - alles kostenlos - einfach Klasse!"

Ende September soll in der 500 qm-großen Halle der Betrieb anlaufen. Vielfachmeister Demirates will sich als "Fachbetrieb für Unfallbeseitigung" in der Region von "Koblenz bis kurz vor Mainz" einen Namen machen, Karosserieumbauten mit TÜV-Abnahme genauso anbieten wie hochqualitative, preisgünstige Speziallackierungen - "alles ohne lange Wartezeiten und 100prozentig pünktlich."

Nicht nur in der Halle wird der Betrieb topmodern, auch hinter den Kulissen hat sich Adil Demirates einiges einfallen lassen: Auf dem Dach sorgt eine Solaranlage für Warmwasser, das Regenwasser wird ebenfalls genutzt, das Gebäude umweltfreundlich mit Gas geheizt und die Spritzkabinen auf dem neuesten Stand eingerichtet. "Informationen dazu gab´s im Umweltzentrum der Handwerkskammer - die bieten einiges, man muß das Beratungspotential nur nutzen. Ich hab das getan."

Vier neue Arbeitsstellen schafft der Handwerksmeister mit seinem neuen Unternehmen, zwei Lehrlinge wird er ausbilden. "Denen werde ich dann auch Mut machen, nach der Meisterprüfung den eigenen Betrieb zu gründen. Der Weg dahin ist lang und oft hart. Er verlangt Durchhaltevermögen und die Rückendeckung der Familie - doch am Ende geht damit für jeden Vollbluthandwerker ein Traum in Erfüllung, auf den er sein Leben lang Stolz sein kann. Dafür lohnt der Aufwand wirklich..."