Handwerk Special 57 vom 11.09.1997


Unternehmer, nicht Unterlasser

Handwerksbetriebe gehen auf ihre Kunden zu

"Es reicht heute nicht mehr aus darauf zu warten, daß der Kunde anruft. Wir müssen auf die Kunden zugehen und ihnen die Vorteile unseres vielseitigen Handwerks vermitteln", umschreibt Rolf Lunnebach die Idee zum "Tag der offenen Tür" in seiner Holzwerkstätte in Vallendar. Damit wollte er den Bekanntheitsgrad seines Betriebes steigern, der sich auch nach sieben Jahren Selbständigkeit noch nicht im ganzen Umkreis herumgesprochen hat. Noch mehr aber ging es ihm darum, seine kreativen und individuellen Arbeiten für den Innenausbau einem breiten Publikum vorzustellen.

Viele Unternehmen spüren in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, daß sie allein mit ihren Stammkunden nicht bestehen können; neue Kunden finden immer seltener von sich aus den Weg in den Handwerksbetrieb. Kundengewinnung muß also aktiv betrieben werden, der Unternehmer muß sich auf den Weg zum Kunden machen - und sich dafür etwas einfallen lassen. Wie zum Beispiel den

Tag der offenen Tür

Mit Handzetteln lud Tischlermeister Lunnebach ein. Seine von außen unscheinbare Werkstatt gestaltete er mit Planungsentwürfen seiner selbst gefertigten Möbelstücke und Fotografien der vollendeten Werke. Das Team führte in regelmäßigen Abständen durch die Werkstatt, erklärte und demonstrierte einzelne Arbeitsabläufe. Die Besucher konnten dem Tischlerhandwerk über die Schulter schauen und erkennen: "Sie finden ja auch Lösungen bei schwieriger Raumaufteilung". Welche Vorteile das Tischlerhandwerk gegenüber Industrieprodukten bietet, wird deutlich: flexibles Eingehen auf Kundenwünsche, Unikate in handwerklicher Perfektion, ein solides Preis-Leistungsverhältnis, das in der Materialwahl die Möglichkeiten des Kunden berücksichtigt.

Kinder

"Unsere Kachelöfen sind nicht billig, sie sind preiswert", bringt es Keramikermeister Achim Gelhard auf den Punkt. Zum vierten Mal bereits hat er mit Kollegen sein Rembserhof- und Innungsfest bei Ransbach-Baumbach veranstaltet. Dort können die Besucher beim Hobby- und Kindertöpfern an ihren eigenen Händen erfahren, wieviel Zeit und Können das Arbeiten mit Ton erfordert, und daß die "Wäller" Keramik ihren Preis wert ist. Gelhards patentierte Keramik-Vogelscheuchen weisen den Weg zum riesigen Parkplatz auf der Wiese, der professionell mit Einbahn-Regelung angelegt ist. "Beim Kauf einer Henkeltasse füllen die Töpfer in der Cafeteria kostenlos Kaffee ein", heißt es an den verschiedenen Ständen. Marketing pur: Der Kaffee motiviert zusätzlich zum Kauf der Tasse, und ein Stück Kuchen geht gleich mit über die Theke. Was die Rembserhof-Keramik alles zu bieten hat, ist in einer

Imagebroschüre

zu sehen. Gelhard stellt das Leistungsprofil seiner Werkstatt für Kunden und Interessenten vor; er bietet ihnen anschauliches Material, das bei der Entscheidung vor einem Kauf hilft. Sogar einen Videofilm hat er eigens anfertigen lassen, um sich auf Messen und bei interessierten Kunden zu präsentieren: er transportiert konkrete Informationen, aber auch die Atmosphäre eines ideenreichen Handwerksbetriebes. Ganz "up to date" praktiziert das selbe Augenoptikermeister Carlo Wagner aus Koblenz: Er ist der erste, aber inzwischen nicht mehr einzige selbständige Handwerker im Kammerbezirk Koblenz, der den Kunden mit einem

Internet-Auftritt

sein Leistungsangebot nahebringt, und das reicht von der Brille über Serviceleistungen bis zur Information über die Bildschirmrichtlinie. Surfer können bei ihm sogar Bill Clinton begegnen. "Ich bin Unternehmer und kein Unterlasser", lautet seine Devise: "Man muß sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, wenn das Geschäft laufen soll." Und die Ideen scheinen ihm nicht auszugehen. Neulich schlug er einer Schule in Höhr-Grenzhausen für den Kunstunterricht das Thema Brillendesign vor. Aus unterschiedlichen Materialien haben die Schüler ihre Sehhilfen gebastelt: als Kuh, Blume, Spirale ... während des Sommers war damit bei Wagner ein Schaufenster dekoriert - so wie er das immer wieder mit und für Künstler macht. Zum Erscheinungsbild nach außen gehört auch das

Firmenlogo

auf Gebäuden, Briefbögen und Fahrzeugen, in dem die "Hausfarben" ebenfalls eine große Rolle spielen. Bereits seit fast 20 Jahren macht die Firma Mais Heizung-Sanitär in rot-orange auf sich aufmerksam; als sie vor acht Jahren innerhalb Koblenz umzog, entwickelte sie mit einer Werbeagentur ein neues Firmenlogo, das jetzt auf die Branche, nicht mehr auf den Namen hinweist. Sie fällt auf, die Flamme, die aus einem roten Kern in orangenen Spitzen züngelt und aus dem Schriftzug mit dem Namen erwächst. Genau das ist es, was der Handwerksbetrieb erreichen will und muß: die Aufmerksamkeit der Kunden.


"Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften.

Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zuviel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten."
John Ruskin (1819-1900), englischer Sozialreformer