Handwerk Special 59 vom 28.11.1997


Feuer & Flamme

Garantiert ein Einzelfall: Wachsziehermeister Mentzer und seine Kerzen

Folkard Mentzer

"Sind die Lichter angezündet..." - wer denkt bei diesem Weihnachtsklassiker nicht an die gute, alte Kerze? Seit Jahrhunderten als Lichtquelle genutzt, spendet sie heute eher Stimmungen, drückt Gefühle aus - nicht nur zu Weihnachten. Mehr als zwei Milliarden Kerzen werden, so Erhebungen des Verbandes Deutscher Kerzenhersteller, zum Jahresende 1997 bundesweit ein Opfer der Flamme sein, die sie selber nähren. Einige davon haben ihre Geburtsstunde in einem Handwerksbetrieb erlebt und sind eigentlich viel zu schade, um auf ihnen "die Lichter anzuzünden".

Blickt man Folkard Mentzer und seinen zehn Mitarbeitern bei der Arbeit über die Schulter, kann einem das Zündeln am Kerzendocht vergehen: Acht Stunden täglich fertigen sie in Handarbeit Kerzen, dekorieren und verzieren sie, machen aus einem Wachszylinder ein "strahlendes" Kunstwerk. Der Betrieb und seine Produkte sind einmalig - im wahrsten Sinne des Wortes. Keine Kerze gleicht 100prozentig der anderen, der Handwerksbetrieb ist der einzige seiner Art unter 17.000, bei der HwK Koblenz eingetragenen Unternehmen.

Die handgefertigten Kerzen von Folkard Mentzer sind zum Anzünden eigentlich viel zu Schade, "auf der anderen Seiten leben wir davon, daß irgendwann doch einmal ein Streichholz dem Kerzendasein ein Ende bereitet. Doch bis eine 12 cm dicke Kerze "runtergebrannt" ist, vergeht viel Zeit." Die angelehnte Telefonkarte gibt einen Größenvergleich.
Die Verzierung der Kerzen erfordert viel Fingerspitzengefühl sowie Liebe zum Detail und ist im Westerwälder Kerzen-Mekka Asbach reine Handarbeit.
Hier geht´s rund: 140 laufende Meter "Kerzenkabel" - die Enden verknotet - laufen stundenlang von einer drehenden Trommel zur anderen. Dabei führt der Weg durch ein Becken mit flüssigem Wachs, der Durchmesser wächst so von Runde zu Runde.

Seit 1924 stellt der vom Vater Walter gegründete Betrieb handgefertigte "Mentzer"-Kerzen her. Sohn Folkard Mentzer erlernte das Wachszieher-Handwerk im Familienbetrieb und legte 1981 in Augsburg die Meisterprüfung ab. "Das Handwerk kommt traditionell aus Süddeutschland, da gibt es auch heute noch die meisten Wachszieherbetriebe, nur dort kann man den Meistertitel erlangen."

Mit viel Fleiß und Gespür für die Kundenwünsche hat der heute 45jährige Handwerksmeister auch das Westerwälder Asbach zu einem kleinen "Mekka" handgefertigter Kerzen gemacht. "Vor 20 Jahren arbeiteten im Betrieb zwei Mitarbeiter, heute 10." Eine halbe Tonne "Zutaten" - das sind Paraffine und verschiedene Wachse - verarbeiten sie täglich. Die angelieferten Paraffinblöcke werden bei 110 Grad aufgeschmolzen, mit Naturwachsen - so Bienenwachs - vermischt und an eine Kerzenziehmaschine "verfüttert". Zwischen zwei riesigen Trommeln wird ein reiner Baumwollfaden wie beim Aufnehmen einer Wäscheleine hin- und hergespannt, die Enden miteinander verknotet. 140 Meter lang wäre der ausgerollte Faden - der spätere Docht. Zwischen den Trommeln steht eine Wanne mit flüssigem Wachs. Hier beginnt die Kerzenherstellung - die Trommeln drehen sich, der Faden läuft durch das Becken, Wachs bleibt am Faden haften. Ein kreisförmiger Abstreifer hinter dem Becken sorgt für die runde Kerzenform. Der Abstreifer wird mit jedem Umlauf der Trommeln weiter gestellt. So wird aus einem schlanken "Kerzlein" nach einiger Zeit eine "ausgewachsene" Kerze. "Bis zu 12 Zentimeter Durchmesser können wir fertigen", so Handwerksmeister Mentzer. Nach vier Stunden ist der einstige Baumwollfaden auf einen Durchmesser von mehr als fünf Zentimeter "ge-Wachs-en". Die Kerzenziehmaschine wird abgestellt, die Wachsschnur durchtrennt. Würde man sie so aus der Anlage herausziehen, hätte man eine 140 Meter lange Kerze. "Gefragt sind Längen bis 120 Zentimeter", die Kreissäge hilft Folkard Mentzer, seine Produkte auf Maß zu bringen.

Temperaturen spielen in der gesamten Produktion eine entscheidende Rolle. Ist es zu warm, schmilzt das Wachs, ist es zu kalt, fehlt ihm die Elastizität. "20 bis 22 Grad sind optimal. Gelagert werden die fertigen Kerzen dann im Kühlhaus." Lagern? "Bereits jetzt, im November, fertigen wir auch Osterkerzen". Saison ist immer, Spitzenzeiten sind Weihnachten, Ostern sowie die Erstkommunion oder Konfirmationsfeiern. Neben privaten Kunden, die ihre Kerzen nach ganz eigenen Wünschen fertigen lassen können, gehören die Kirchen zu den Hauptabnehmern.

Die Kerze bestand früher aus Talg, Walrat oder Bienenwachs, heute aus Paraffin oder Stearin, bzw. Mischungen dieser Substanzen. Weiße und rote Kerzen sind heute am beliebtesten, jährlich werden in Deutschland 100 Millionen Tonnen Kerzen verbrannt - so der Verband Deutscher Kerzenhersteller.

Doch bevor ein Streichholz für lichten Kerzenschein sorgt, haben die Asbacher Handwerker noch viel Arbeit: Eine Drehbank sorgt an einer Seite des Wachszylinders für die typische Kegelform, aus der nun der Docht herausschaut. An dem Faden aufgehängt, versinken die Kerzen in einem Tauchbecken und erhalten einen härteren Mantel: der sorgt für mehr Standfestigkeit.

Bisher war eine Kerze, wie die andere, mit der Dekoration bekommen Mentzer´s Kerzen ihr individuelles Aussehen. In reiner Handarbeit werden Motive umgesetzt, markante Details im Wachs mit dekorativen Materialien kombiniert. Verzierungen - wie Kirchenkreuze auf Taufkerzen - bestehen selbst aus Wachs, und werden erwärmt auf die runde Form gebracht und aufgeklebt. Der Pinsel sorgt für Farbe, selbst Siebdrucke können auf die Kerze aufgebracht werden.

Daß in den Asbacher Kerzen keine Konjunkturdellen erkennbar sind, wundert weder Folkard Mentzer noch Dr. Walter Schütz vom Verband Deutscher Kerzenhersteller: Die Auftragslage wird bundesweit als gut beurteilt, das Produkt Kerze ist im Trend, selbst bei der Jugend. Die Kerze erfüllt symbolische Werte, weniger funktionelle. Ansprüche, so an Farbe oder Geruch, werden durch die Hersteller sehr schnell umgesetzt. Und selbst die Qualität stehe immer mehr im Mittelpunkt: "Das tropfende, russende und zudem langweilige Ungeheuer im Zentrum einer festlich gedeckten Tafel - unvorstellbar!", so Dr. Schütz.

Doch bei aller Liebe zu den Kunstwerken aus Wachs ist für Folkard Mentzer und den Umsatz seines Unternehmens wichtig, das seine vergänglichen Produkte irgendwann doch eine Flamme kennenlernen...