Handwerk Special 63 vom 02.09.1998


Umgenutzt zum Wohnen

Wo früher der Traktor stand, steht heute der Wohnzimmertisch

Innere der ehemaligen Scheune
Aus dem Scheuneninneren ist ein 10 Meter hoher Wohnraum mit Treppe zu den oberen, geschlossenen Räumen geworden.
Innere vor dem Umbau
Der Dachboden der Scheune vor dem Umbau: Hier wurde Heu eingelagert.
Vor dem Umbau
Vorher: Die alte Scheune am Ortsrand des Westerwaldortes Kleinrachdorf mit unverbaubarer Fernsicht.
Nach dem Umbau
Nachher: Rein äußerlich hat sich bis auf zusätzliche Fenster und ein neuer Anstrich nicht viel verändert.

Man braucht schon ziemlich viel Phantasie, um sich eine alte, karge Dorfscheune als komfortables Wohnhaus vorzustellen. Ein Paar aus Wuppertal hatte sie. Es suchte für sich und seine französischen Jagdhunde fern der Stadt Raum für Ruhe, Konzentration und viel persönliche Freiheit. Über eine Zeitungsanzeige wurde das Paar in Freirachdorf/Westerwald fündig.
„Wir öffneten das Scheunentor und standen in einem riesigen dunklen Raum", so die jungen Leute. Kaufanreiz für die Scheune war letztendlich die landschaftlich schöne Dorfrandlage, der unverbaute Fernblick auf den Westerwald. Christoph V. Wissmann aus Wuppertal, befreundeter Architekt der Bauherrn, und der Dierdorfer Architekt Hans H. Heydorn, planten einen schlichten, die Substanz erhaltenden Ausbau. Sie machten die Scheune mit wenigen Elementen bewohnbar. Nicht protzig, sondern wohnlich, nicht perfekt gestylt, sondern mit liebenswürdigen Gebrauchsspuren patiniert.

Altes blieb erhalten

Der Bau wurde nicht nur genehmigt, sondern im Rahmen des Dorferneuerungsprogramms von der Kreisverwaltung Montabaur gefördert. „Es ist unser Anliegen, leerstehende Bausubstanz der Nutzung zuzuführen, wobei charakteristische Merkmale gewahrt bleiben sollen", so Nortrud Schrammel-Schäl von der Kreisverwaltung Montabaur.
Erfreulicherweise deckte sich der Wunsch der Bauherrn mit den Vorstellungen des Dorferneuerungsprogramms. Der Scheunencharakter und die Umrisse des Gebäudes blieben erhalten. Bruchsteinmauerwerk und Fachwerkgiebel erzählen heute von der landwirtschaftlichen Vergangenheit.

Lebendiger Materialdialog

Die alte Toreinfahrt wird durch eine Wandscheibe aus Gasbeton und schmale Lichtschneisen ersetzt. Im Innern befindet sich die zentrale Wohnhalle. Die Landschaft ist hier Wohnpartner. Durch die plastische Fensterfront in der Rückwand des Hauses zieht Natur ein: Sonne, Mondschein, Herbstwald, wechselnder Rhythmus von Tag und Nacht. „Wir empfinden die Landschaft als ein Geschenk", so die Bewohner. Tischlermeister Alfred Gottschalk aus Kleinmaischeid hat das 60 cm tiefe und in der Größe an ein Scheunentor erinnernde Fensterelement eingefügt. Anstelle der ursprünglichen Stallfenster hat er moderne Holzfenster maßgenau in die vorgegebenen Bims- und Bruchsteinöffnungen eingepaßt. „Das alte sichtbare Mauerwerk durfte nicht beschädigt werden, das heißt, alle Unebenheit und Mauerversätze mußten an den Holzrahmen angepaßt werden. Das erfordert doppelten Arbeitsaufwand gegenüber einem Neubau. Eine nicht alltägliche Arbeit", erinnert sich Gottschalk, der sich mit seinen vier Mitarbeitern auf den Innenausbau spezialisiert hat. Der Wohnraum ist sparsam möbliert. Ein großer Holztisch, passende Sitzgelegenheiten, alles moderne Klassiker. Dazu das Raumgefühl. Die Proportionen von zehn mal vier Metern und eine Höhe von zehn Metern. Der wohldurchdachte Einsatz von materialfarbenen Einbauten, wie einer Industrietreppe aus Aluminium, ermöglicht offenes Wohnen auf drei Ebenen. Im Giebel, Arbeitszimmer des Hausherrn, sorgen ins Mauerwerk eingelassene Öffnungen mit Glassteinen für weich gefiltertes Licht.
Maurermeister Klaus Ehl vom Bauunternehmen Josef Ehl aus Großmaischeid hat die neuen Fenster- und Türöffnungen aus dem Mauerwerk herausgeschnitten bzw. -gebrochen. „Die Arbeit mit dem Bruchstein ist eine alte Handwerkstechnik", so Ehl. Er erklärt, daß die Ecken der entstandenen Öffnungen für Türen und Fenster nach dem Herausbrechen mit dem anfallenden Material wieder aufgemauert und mit waagerechten Bögen überdeckt werden mußten.
Raffinierte und extravagante Bauelemente müssen nicht teuer sein. Bestes Beispiel: Der Fußboden - Verpackungssperrholz in Schälfurnier - wurde in Platten geliefert, mit Parkettkleber geklebt und geölt. Das Ergebnis: Ein individueller Fußboden mit eigenem Reiz ist entstanden.

Hereinspaziert!

Schlossermeister Bernd Meyenburg aus Dierdorf hat vier Schiebetüren aus Zinkblech mit innenliegendem Stahlrahmen eingebaut. „Die Schwierigkeit bestand darin, die Laufschienen an der alten gewölbten Bimsdecke anzubringen. Das trifft auch auf die Eingangstür zu. Eine Mehrzwecktür wurde auf einen Holzrahmen geschraubt, dieser wiederum auf das Mauerwerk gesetzt. Derartige Arbeiten kommen im Schlosserleben vielleicht ein- bis zweimal vor", erinnert sich Bernd Meyenburg.
Das Besondere an der Umnutzung? Es ist die moderne Architektur, die erst auf den zweiten Blick sichtbar wird. So erklärt es sich, daß vorbeifahrende Autofahrer oft eine Vollbremsung hinlegen und zurücksetzen. Der Materialmix, die weiße Gasbetonwand im Bruchsteingemäuer, die langgezogenen Lichtschächte im Giebel sorgt für Kontraste und schafft ein lebendiges Umfeld.