Handwerk Special 63 vom 02.09.1998


Wenn der Weg nicht das Ziel sein kann

Gedanken zum Abschied: Der bulgarische Botschafter Dr. Stoyan Stalev verläßt Bonn

Dr. Stoyan Stalev
Dr. Stoyan Stalev während der Eröffnung einer Bulgarienausstellung in der Galerie Handwerk bei der HwK Koblenz.

Zwischen Hamburg und München liegen 752 Kilometer. Die doppelte Entfernung trennt München und die bulgarische Hauptstadt Sofia. Und doch ist die Metropole auf dem Balkan im Bewußtsein der meisten Deutschen weiter weg als nur die doppelte Strecke zwischen Hamburg und München. „Ich weiß das", sagt ein Bulgare, der die Deutschen, ihr Leben, ihre Gedanken kennt, weil er sieben Jahre mit ihnen lebte und arbeitete. Er hat geworben für sein Land, hat Kontakte zustande gebracht. Jetzt ist „Schichtwechsel" in der Bulgarischen Botschaft in Bonn. „Hausherr" Dr. Stoyan Stalev wird als Botschafter in der Türkei weiterarbeiten. Seine Gedanken über die deutsche Zeit.

Bulgarien. Ein Land mit Geschichte. Und ein Land im Jahre acht der modernen Zeitrechnung. „Mit dem politischen Umbruch 1990 hat sich viel verändert", sagt Dr. Stoyan Stalev. Und meint mehr als nur die politische Revolution. Das Wirtschaftskonstrukt RGW (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe) der sozialistischen Staaten brach über Nacht zusammen. Bulgarien, dem in diesem System die Rolle als Versorger mit Erdöl und Schwermaschinen zugedacht war, stand am untersten Zipfel Europas mit seinen Leistungen der freien Marktwirtschaft gegenüber. Die Landeswährung Lewa war an internationalen Finanzplätzen ohne Bedeutung. An dieser Startlinie standen die Bulgaren mit dem Zusatzgewicht maroder Volksbetriebe, veralteter Maschinen und staatsdiktierter Planwirtschaft. „Aber mit Menschen, die etwas bewegen wollen!" - so das Prinzip Hoffnung, der Motor, der den Balkanstaat wieder auf Fahrt bringen sollte.

Auf der Suche nach dem Ziel haben die Bulgaren seitdem verschiedene Wege eingeschlagen. Sieben Regierungen steuerten bulgarische Geschicke. „Jetzt", so Dr. Stalev, „haben wir eine innenpolitische und wirtschaftliche Stabilität erreicht" und blickt mit Optimismus in die Zukunft.

Das politische Engagement des Dr. Stoyan Stalev entwickelte sich mit der Wende 1990. „Eine neue politische Ära begann, da wollte ich als politisch interessierter Mensch mitanpacken." Bis dahin arbeitete der gelernte Jurist an der Universität Sofia. 1985 promovierte Stoyan Stalev im Seehandelsrecht. Zu den herausragenden Leistungen des habilitierten Juristen zählt die Übersetzung des „Deutschen Seehandelsrecht" in seine Heimatsprache. Seit März 1991 ist Dr. Stoyan Stalev „Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter der Republik Bulgarien in der Bundesrepublik Deutschland".

Was schätzt er an Deutschland, was an den Deutschen?

„Ich war mehr als 700.000 Kilometer in Deutschland unterwegs. Ich habe viele Orte und deren Menschen kennengelernt und schätze die wunderbare Ausgeglichenheit, die Aufgeschlossenheit und das Interesse der Deutschen an dem, was sie umgibt. Ich habe eine freundliche Einstellung vorgefunden - bei den ganz normalen Leuten auf der Straße genauso wie bei Politikern oder Vertretern der Wirtschaft. Das Interesse der Deutschen an Osteuropa ist groß, auch wenn es Informationsdefizite gibt - gerade bei den jungen Menschen in Westdeutschland." Der Blick für einander sei da, müsse aber gegenseitige Interessen besser wahrnehmen. „Besonders beeindruckt bin ich vom hohen Rechts- und Verantwortungsbewußtsein der Deutschen, von ihrer Pflichterfüllung. Das sind deutsche Markenzeichen."

Ein anderes Markenzeichen, „Made in Germany", steht auch in Bulgarien für hochqualitative Produkte aus deutschen Landen. Doch nicht nur deutsche Waren sind Exportschlager, auch Ideen und Wirtschaftskonzepte, die dahinter stehen. Mit dem ersten Tag seiner Bonner Tätigkeit suchte Dr. Stalev deutsche Partner. Und fand einen in der HwK Koblenz.

Seit Jahren engagieren sich die Experten der HwK Koblenz für einen leistungsfähigen bulgarischen Mittelstand. In Sofia und Plovdiv helfen und beraten HwK-Büros, in Deutschland forcieren HwK Koblenz und bulgarische Botschaft den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch - ob Messepräsentation oder Ausstellung - und bringen so auch die Menschen zusammen.

„Bereits auf einer der ersten Deutschlandreisen bin ich bei der HwK Koblenz gewesen und habe deren Hauptgeschäftsführer Karl-Jürgen Wilbert als einen interessierten und neugierigen Menschen kennengelernt, der Hilfe für den Aufbau des bulgarischen Mittelstandes anbot. Der sich aber auch für bulgarische Emotionen und Denkweisen offen zeigte - alles gute Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit, aus der wir etwas gemacht haben."

Heute gibt es in drei bulgarischen Städten Berufsbildungszentren, die mit Hilfe der HwK Koblenz und Unterstützung der Bundesregierung entstanden sind. Dort werden junge Menschen ausgebildet, Handwerker können sich weiterbilden. So werden sie als selbständige Unternehmer nicht nur für sich und ihre Familien eine Existenz, sondern auch dem bulgarischen Staat ein wirtschaftliches Fundament schaffen. Ein neues Berufsbildungsgesetz soll diese Entwicklung zusätzlich fördern. Im Juni ´98 kam Wesilin Metodiev, bulgarischer Bildungsminister, auf Einladung der HwK Koblenz nach Deutschland, um sich über das deutsche Ausbildungssystem zu informieren.

Nicht nur in der politischen Hochburg Bonn hat Dr. Stoyan Stalev als Botschafter seines Landes bulgarische Geschicke mitgelenkt. Drei Monate - von Februar bis Mai 1997 - bot er als Außenminister einer Übergangsregierung in Sofia ein politisches Heimspiel. Eine Herausforderung für den sympathischen Bulgaren, „die Arbeit, Verantwortung und Einsatzbereitschaft bedeutet, für einen Politiker trotzdem ein Traum ist."

Wie beurteilt er aus Sicht des ehemaligen Außenministers die Rolle Bulgariens?

„Das Ansehen Bulgariens hat stark zugenommen, denn wir haben uns als feste Größe installiert, auf die sich wirtschaftliche und politische Partner verlassen können. Bulgarien ist die Brücke zwischen Europa und dem vorderen Orient sowie der südosteuropäischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Ich will die Bedeutung dieser geografischen Lage nicht überbewerten - als Bindeglied zwischen Europa und diesen aufstrebenden Wirtschaftsräumen, als Schnittstelle zwischen moslemischer und christlicher Religion, kommt Bulgarien eine wichtige Rolle zu."

Welche Auswirkungen hat die innenpolitische Instabilität in den jugoslawischen Nachbarstaaten?

„Bulgarien spürt die Probleme des Nachbarn. Unter den momentanen politischen Voraussetzungen wird ein langfristiger Frieden heute oder morgen nicht möglich sein." Die individuellen Interessen seien zu groß, in einer „Bundesrepublik Jugoslawien" sieht Dr. Stalev einen politischen Lösungsansatz.

Und sagt der deutschen Bundesrepublik „Auf Wiedersehen": Mit der Erkenntnis nach acht Jahren als Bonner Bulgare: Politik verlangt nach klaren Zielen und ihrer konsequenten Umsetzung - hier kann nicht der Weg das Ziel sein.


Mit den ersten Kontakten der HwK Koblenz zur bulgarischen Wirtschaftskammer begann 1991 eine langfristige Partnerschaft. Ziel ist der Aufbau eines leistungsstarken, bulgarischen Handwerks. Finanzielle Unterstützung gibt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. So sind in drei Orten Berufsbildungszentren entstanden.
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