Handwerk Special 66 vom 27.01.1999


Kein Abriß - wegen zu schlechten Zustands

Vogtei aus dem 13. Jahrhundert ist heute Künstler- und Gästehaus

Vogtei / Senheim
Senheimer Vogtei-Turm aus dem 13. Jahrhundert.
Vogtei / Senheim
Das 2. Obergeschoß ist als Kommunikations- und Ausstellungsraum gestaltet.

Daß der um 1240 n. Chr. erbaute und bis 1778 von Vögten bewohnte Vogteiturm in Senheim/Mosel heute noch steht, verdankt er eigentlich seinem schlechten baulichen Zustand. Als 1794 die französischen Revolutionstruppen an der Mosel einmarschierten und alle Wehrtürme in Senheim sprengten, blieb eben diese Vogtei verschont. Die großen Keilrisse im Bauwerk bestärkten die Franzosen in ihrer Meinung: „Man spare das Pulver, weil das Haus ohnehin auseinanderfällt."

Trotz seines desolaten Zustands wird der Vogteiturm ab 1832 von einer Winzerfamilie als Wohnhaus genutzt. Bis in die 70er Jahre hinein dient er als Wohnraum. Es erfolgten deshalb immer wieder Umbaumaßnahmen. Beispielsweise wurden Bimswände eingebaut, so daß viele kleine Zimmer entstanden. Eine grundlegende Sanierung des alten Gemäuers gab es aus Kostengründen nicht. Die Risse wurden immer wieder zugemörtelt.

1985 erwirbt der seit 1953 in Sehnheim ansässige Bildhauer und Zeichner Christoph Anders die Vogtei. „Der Reiz dieses historischen Gebäudes hat mich schon lange fasziniert. Hier konnte ich meinen Traum von Wohnen, Arbeiten und Ausstellen unter einem Dach realisieren. Außerdem sollte ein Kommunikationszentrum der Kunst in der Region entstehen." Sein Lebens- und Arbeitsmotto: Ohne Leidenschaft geht's nicht, überträgt er auf die längst überfällige Restaurierung: „Jeder Statiker hat sich gewundert, daß das Vogteihaus noch stand."

In dem Architekten Franz Niespor aus Zell/Mosel fand Anders einen Partner, der seine Vorstellungen von einer denkmalgerechten Umnutzung des Vogteiturmes architektonisch umsetzte. „Altes zu erhalten und so umzugestalten, daß Leute von heute darin leben können, ist eine reizvolle Herausforderung für einen Architekten", sagt Niespor. Wichtigste Aufgabe war es, ein weiteres Auseinanderbrechen der Turmmauern zu verhindern. Ein Ringanker aus Stahl wurde als Gürtel innerhalb des Mauerwerks eingepaßt: „Er hält das Bauwerk wie ein Korsett zusammen, ist beweglich und paßt sich den Veränderungen der Bodensetzung an."

Maurermeister Helmut Brand aus Bullay hat Teile des Mauerwerks herausgenommen und durch neue Steine ersetzt: „Die Arbeit mit dem Bruchstein ist eine alte Handwerkstechnik. Um die Optik zu erhalten, haben wir Steine wie im 13. Jhdt. aus dem Steinbruch in Senhals verwendet. Am Bauwerk wurden nur Trasstkalk und Trasstzement verwendet, um Ausblühungen zu verhindern."

Zugunsten der Mauerwerksuntersuchungen wurde der Putz teilweise abgeschlagen. Zur Farberneuerung nutzte Malermeister Ralf Thönnes aus Senheim eine Technik, die schon im 18. Jhdt. angewendet wurde. „Auf den Kalkputz wird zuerst Sumpfkalk und nach der Trocknung Mineral-Silikatfarbe aufgetragen. Der Kalk muß mehrere Tage in Wasser 'eingesumpft' und dann dünn aufgetragen werden. Das garantiert Festigkeit und ist absolut schadstofffrei", erklärt Thönnes, der das Malergeschäft Günther Thönnes& Söhne in der dritten Generation führt.

Jedes der vier Geschosse besteht aus einem Raum. Die Bogenfenster im zweiten Obergeschoß wurden bei den Freilegungen entdeckt und konnten aufgrund von Befunden rekonstruiert werden. Schreinermeister Helmut Lennartz aus Briedern hat die Holzfenster nach orginalen Vorbildern angefertigt und maßgenau in die vorgegebenen Bruchsteinöffnungen eingepaßt. Darüber hinaus baute er acht Podesttreppen ein, über die die vier Etagen mit ihren unterschiedlichen Steigungen verbunden werden. „Hier konnte kein Fertigteil verwendet werden, sondern alle Treppenelemente wurden maßgerecht angefertigt. Der Betrachter hat den Eindruck, daß die Treppen gleich sind, was Klarheit und Ruhe schafft. Erst beim Steigen merkt man die Unterschiede in Höhe und Breite", erinnert sich Lennartz.

Ganzer Stolz des Eigentümers: Wie eine Skulptur erhebt sich der Stahlkamin, der den Turm über eine raffiniert ausgekügelte Heizanlage beheizt. Der Fußboden ist mit einem Luftkammersystem ausgelegt. Ein Ventilator schiebt die Kaltluft des Fußbodens durch den Kamin, wo sie erwärmt und wieder in die Räume abgegeben wird.

„Unser Ziel war es, die alte Bausubstanz technisch und optisch zu stabilisieren. Die Ausstattung der Wohnräume, von den Möbeln bis hin zu Naßzelle, Beleuchtung und Wärmeaggregate, wurde bewußt in moderner Formen- und Materialsprache gehalten. Gerade dieses Nebeneinander macht für mich eine besondere Lebensqualität aus", faßt der Eigentümer das Ergebnis der Restaurierung zusammen.