Handwerk im Winter vom 20.11.2004


100.000 Uhren in fünf Jahrzehnten

Uhrmachermeister Schmidt & der chronometrische Lauf der Dinge

Uhrmacher- sowie Goldschmiede-
Uhrmacher- sowie Goldschmiedemeister Walter Friedrich Schmidt.

ein Gesellenstück war eine Taschenuhr, auf deren Rand in Lettern zu lesen ist: Nutze die Zeit! Uhrmachermeister Walter Friedrich Schmidt aus Andernach lebt dieses Motto im wahrsten Sinne des Wortes. Der 74-Jährige, der in diesen Tagen seinen Goldenen Meisterbrief bekam, hat für Langeweile keine Zeit.

„Ich fühle mich fit und solange meine Hände ruhig sind, werde ich arbeiten. Uhren sind meine Leidenschaft“, sagt er. Und er sagt es nicht ohne Stolz, hat er sich doch längst als Spezialist für die Restaurierung historischer Uhren einen Namen gemacht, wird geschätzt von Kunsthistorikern und Sammlern. Nach der Aufgabe seines Geschäfts 1993 („Die Kinder hatten beruflich andere Pläne“) richtete er sich im Haus eine Werkstatt ein und arbeitet hier täglich „und offiziell in die Handwerksrolle eingetragen“ bis zu acht Stunden.

Mechanische Kunstwerke

Wer das Haus von Uhrmachermeister Schmidt betritt, sieht direkt das ganz besondere Faible des Hausherrn für die mechanischen Kunstwerke. Uhren unübersehbar. Überall tickt und schlägt es. Zahnräder drehen sich und Pendel gehen hin und her. Ein wenig spürt man die Atmosphäre des Tüftelns, die einen „Uhrenoperateur“ auszeichnet. „Mich reizt es besonders Uhren, die in einem desolaten Zustand sind, wieder gangbar zu machen.“

Wenn er sich erinnert, welche Schätze in fünf Jahrzehnten durch seine Finger gingen, blüht er auf. Dazu zählt eine Uhr, die einst für Katharina II. in St. Petersburg gefertigt wurde und die er komplett restaurierte. „Die Uhr stammt aus der Werkstatt der Neuwieder Familie Kinzing und steht heute wieder im Neuwieder Museum. Die Kinzings gehören zu den bedeutendsten Uhrmachern des 18. Jahrhunderts. Ihre Uhren zählen weltweit zu den kostbarsten Stücken“, erklärt er und verrät, dass er „richtig Herzklopfen hatte“, als er das kostbare Stück, immerhin im Wert von einer halben Million Euro, auseinander nahm. 100.000 Uhren wurden bisher von Uhrmachermeister Schmidt repariert. Akribisch registriert er jeden Schritt in mittlerweile „dickleibigen“ Büchern. „Für die Präzisionsarbeiten an winzig kleinen Rädchen, Spiralen und Hebelchen braucht man viel Geduld und Ruhe. Oft geht es um Haaresbreite. Wenn aus Einzelteilen ein Ganzes zusammengesetzt wird, dass am Ende präzise funktionieren soll, bleibt immer ein wenig Herzklopfen, auch heute noch“, gesteht der gestandene Handwerksmeister.

Doppelmeister

Zum Uhrmacherberuf kam er eigentlich über Umwege, erinnert sich Schmidt. Auf der Suche nach einer Uhrmacherlehrstelle fing er erst einmal eine Goldschmiedelehre an und beendete sie erfolgreich. Gleich im Anschluss klappte es dann mit der Uhrmacherlehre. In beiden Handwerken legte er die Meisterprüfung ab.

„Ich bedaure den Wegfall der Meisterprüfung in meinen Gewerken. In den Meisterkursen hat man Dinge gelernt, mit denen man sich sonst nicht beschäftigt, die aber zur erfolgreichen Geschäftsführung unerlässlich sind“, betont der Goldschmiede- und Uhrmachermeister. 26 Lehrlinge hat er in den Jahren, in denen er sein Geschäft führte, als Goldschmied und Uhrmacher ausgebildet.

„Zwei wurden Landessieger“, erzählt er. Zu fast allen, die meisten sind heute selbstständig, hat er immer noch Kontakt. „Es stimmt einfach nicht, dass das Zeitalter der Quarz- und Funkuhren den Uhrmacher arbeitslos macht“, sagt er und bedauert, dass im nördlichen Rheinland-Pfalz derzeit nur 15 junge Leute, darunter 4 Mädchen, seinen abwechslungsreichen Beruf lernen.

Steckbrief: Walter F. Schmidt, Andernach
Uhrmachermeister sowie Gold- und Silberschmiedemeister | Wartung und Reparatur mechanischer Uhren aller Epochen | Tel.: 02632/94 847


Nachgefragt: Kleine Uhrengeschichte

Bereits um das Jahr 5000 v. Chr. wurden in Ägypten Sonnenuhren zur Zeitmessung verwendet. Aus China sind Sonnenuhren aus der Zeit um 3000 v. Chr. bekannt, in Deutschland waren sie ab dem 10. Jahrhundert gebräuchlich.

Mechanische Uhren gibt es seit dem 13. Jahrhundert. Sie gehören zu den ältesten Erzeugnissen moderner Technik. Wer sie erfunden hat, ist ungeklärt. Die Meinung, dass es Araber waren, gründet sich auf die Tatsache, dass Sultan Saladin dem Hohenstaufenkaiser Friedrich II. eine bewundernswerte Uhr mit Räder- und Schlagwerk schenkte. Sie war zweifellos das Ergebnis einer langen Entwicklung. Heute sind die mechanischen Uhren im Alltag fast völlig von ihren elektronischen Nachfolgern verdrängt.