Handwerk Special Nr. 72 vom 3. Januar 2000 - 100 Jahre Handwerkskammer Koblenz - page 9

Vieles deutet darauf hin, dass
derjenige, der sich das Haus
einst bauen ließ, einigermaßen
wohlhabend war und dies auch
nach außen kundtun wollte.
Deshalb begnügte er sich nicht
mit einfachem Fachwerk, son-
dern ließ die Balken zweifarbig
rotbraun und grün fassen, die
Gefache mit Ornamenten ver-
zierenunddieSchauseitennoch
dazudurch sogenannte „Mann-
formen“, aufwendige Schnitze-
reien an Eckständern und Zier-
hölzern, aufputzen. Gediegen
empfing das Haus den Besu-
cher auch im Inneren, mit einer
schönenhölzernenWendeltrep-
pe und reich profilierter Spin-
del, mit aufgesetzten Stuck-
ornamenten an der Decke des
Salons.
Wandlungen eines Hauses
Man schrieb das Jahr 1677, als
dasHaus amSchloßberg inDiez,
in der Nähe der alten, mehrfach
umgebauten Burg und der Kir-
che gebaut wurde, in einer ihrer-
seits bevorzugten und auf eine
beachtliche Position des Besit-
zers hindeutenden Lage, zu ei-
ner Zeit, als man in der Stadt
auch andernorts noch eifrig bau-
te, amSchloss Oranienstein, das
PrinzessinAlbertineAgnete von
Oranien inAuftrag gegeben hat-
te. Wie sich einMensch imLau-
fe seines Lebens verändert, so
sollte sich mit den Jahren auch
das Haus am Schloßberg immer
wieder wandeln. Als Wetter-
schutz wurde relativ schnell sei-
ne Westseite mit Schiefer ver-
kleidet, und Ende des 18. bzw.
zu Beginn des 19. Jahrhunderts
ersetzten die damaligen Bewoh-
ner, zu denen eine Zeitlang auch
die Schwestern des Freiherrn
vom Stein gehört haben dürften
(darauf deutet zumindest einOr-
nament, die “Steinsche Rose”,
hin), die kleinen, in Zweier- und
Dreiergruppen angeordneten
Fenster durch größere, in Ach-
sen übereinander stehende Fen-
ster, die erheblich mehr Licht
einließen. Die Südseite, bereits
vorher mit heller Farbe über-
tüncht, wurde nun verputzt; in-
nen wurden einige Räume neu
aufgeteilt, bei anderen die Dek-
ken umgestaltet.
Wieder ein rundes Jahrhundert
später änderte man die Innen-
aufteilung noch einmal um, so
dass nun in jedemGeschoss eine
abgeschlossene Wohnung zur
Verfügung stand. Den Besitzern
ging es jetzt allerdings offen-
sichtlich mehr um praktischen
Nutzwert als umSchönheit, auch
bei der Außenverkleidung der
Wetterseite, bei der man nicht
mehr Schiefer, sondernAsbest-
platten verwendete. Danach tat
sich lange Zeit dann nur noch
wenigmitdemHausamSchloß-
berg.
Liebe auf den ersten Blick?
Das änderte sich 1997. In die-
sem Jahr kauften Beate und
Christian Wuth, Apotheker-
ehepaar ausDiez, das stolze 320
Jahre zählende Gebäude. War
es Liebe auf den ersten Blick?
Ute Wuth verneint lachend.
“Wir sind nur immer an dem
Haus vorbei zu unserer Stamm-
kneipe gegangenundhabenuns
gewundert, dass alles stets so
verschlossen aussah und man
eigentlichnie eineVeränderung
bemerkte.”Als sie vomTod des
Besitzers hörten, begannen sich
die beiden für das Haus intensi-
ver zu interessieren, “denn die
Lagewar ideal für uns, wir kön-
nen zu Fuß zur Arbeit und zum
Einkaufen gehen, und Kinder-
garten und Schule sind gleich-
falls in der Nähe. Außerdem
bot es für uns und unsere Kin-
der genügend Platz”.
Die Wuths kauften das Haus,
angetan auch von der guten und
seit 1677 vergleichsweise we-
nig veränderten Bausubstanz,
und begannen mit seiner Re-
staurierung. “Wenn man sich
ein solch altes Haus zulegt, ist
man vor bösen Überraschun-
gen nie ganz sicher,” kommen-
tiert Christian Wuth, “deshalb
haben uns die Leute auch für
verrückt erklärt, aber wir hatten
wirklich Glück.” Und dazu ei-
nen ortsansässigen Innenarchi-
tekten, Walter Bernd Stillger,
der mit Restaurierungen schon
vorher Erfahrungen gesammelt
hatte und das Projekt so um-
sichtig wie einfühlsam betreu-
te. “Wir persönlichhabenhöch-
stens mal Schutt geräumt oder
Lehm angerührt, mehr wollten
wir dabei gar nicht leisten,” er-
innern sich die Wuths.
Entdeckungen statt Überra-
schungen
Auch Stillger bestätigt, dass es
bei den Restaurierungsarbeiten
kaumunliebsameÜberraschun-
gen gegeben habe. Wohl un-
verhoffte Entdeckungen, wie
Der Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege wurde
1999 in den Ländern Rheinland-Pfalz sowie Mecklenburg-
Vorpommern ausgeschrieben. Sieger ist das gezeigte Haus in
Diez, an dessen Restaurierung diese Handwerker aus dem
Gebiet der HwK Koblenz mitgearbeitet haben:
Schreinerei Klaus Wissenborn; Heizung/Sanitär U.Trisch
GmbH; Schlosserei Jürgen Brötz (alle aus Diez)
Für ihre hervorragenden leistungen an anderen Objekten
wurden außerdem ausgezeichnet:
Lorenz Riemenschnitter (Leutesdorf), Siebertz Elektro GmbH
(Erpel), Kunstschmied Sebastain Hoppen (Leubsdorf).
Der spätere Preisträger aus Diez vor seiner Restaurierung
Ein Haus hat sich verwandelt: Aus dem egemaligen „häßlichen
Entlein“ ist ein stolzer Schwan geworden.
Mit dem Zentrum für
Restaurierung und Denk-
malpflege in Herrstein
bietet die HwK Koblenz
Handwerkern, Architek-
ten und Bauherren die
Möglichkeit, sich über
Aus- und Umbau und
Restaurierung alter Bau-
objekte zu informieren.
Infos unter Tel.: 06785/
9731-0, Fax: -769.
Mit dem Einmarsch
der französischen
Revolutionsarmee im
Rheinland endet die
Epoche des alten
Zunfthandwerks.
Durch die Einfüh-
rung der allgemeinen
Gewerbefreiheit
werden links des
Rheins die Zünfte
aufgelöst, jeder
gewerbliche Zusam-
menschluss ist von
nun an verboten.
14.1
1. August 1799 – Franz. Verwaltung führt Gewerbefreiheit ein
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