Handwerk im Winter vom 9. Dezember 2000 - page 6

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„38 Jahre harte Arbeit, und auf einmal
nichts mehr tun? Nein, das geht nicht!“
sagt Schuhmachermeister Wolfgang
Held aus Bad Marienberg. Eigent-
lich wollte sich der heute 61-jähri-
ge nach dem Verkauf seines
Schuhreparaturbetriebes in
Hilden 1992 auf den erreichten
Lorbeeren ausruhen.
Doch das Leben ohne berufliche Herausfor-
derung langweilte ihn bald. „Ich konnte den
Lauft,
Füße
, lauft...
und lasst euch dabei von Schuhmachermeister Wolfgang Held verwöhnen
Vorruhestand einfach nicht genießen, fühlte
mich zu jung, um mit anderen Pensionären
auf der Bank zu sitzen oder spazieren zu ge-
hen.“ Er besann sich auf das, was er ursprüng-
lich gelernt hatte, das Anfertigen von Schu-
hen nach Maß. 1993 richtete er in seinem
Wohnhaus eine Werkstatt ein und hat seitdem
120 Paar Schuhe, überwiegend für Herren, an-
gefertigt. „Ganz so einfach war der Anfang
allerdings nicht. Immerhin habe ich meine
letzten Maßschuhe 1961 gemacht. Sie waren
mein Meisterstück, ein Paar Hochzeitsschuhe
für mich“, sagt Wolfgang Held schmunzelnd.
So musste er zunächst wieder üben. Er ver-
sorgte die ganze Familie zu Trainingszwecken
mit handgefertigten Schuhen, bevor er seine
Arbeit
auch
anderen
Kunden an-
bot. Für Herren
zwischen 40 und 70,
die ihren Füßen etwas Be-
sonderes gönnen wollen, ist Schuh-
machermeister Held
die
Anlaufstelle in der
Region. „Ein Kunde besitzt sechs Paar Maß-
schuhe“, so Wolfgang Held stolz. Werbung
macht er kaum, Mundpropaganda reicht ihm.
„Ich bin durch meine jahrzehntelange Tätig-
keit als selbständiger Unternehmer wirtschaft-
lich unabhängig und tue jetzt, was mir Spaß
macht.“
Schuhe für hohen Anspruch
Den eigenen Leisten muss man sich aber in
der Tat „leisten“ können. Je nach Machart und
Leder kostet ein Paar Maßschuhe bei Meister
Held 1000 bis 2000 Mark. Dafür ist absolute
Passform und bei entsprechender Pflege eine
Haltbarkeitsdauer bis zu 10 Jahren garantiert.
„Ich nehme an fünf verschiedenen Stellen des
Fußes Maß und erstelle eine Trittspur. Vom
Leisten über eigene Modelle bis zu Schäften
und Böden, alles ist reine Handarbeit. Wenn
der Schuh nach vier bis fünf Tagen fertig ist,
muss er passen. Eine Nachbesserung wie bei
einem Maßanzug, ist nicht möglich“, erklärt
Held. Er betont, dass er nur die besten Leder
verwendet, alle vegetabil gegerbt, um ein an-
genehmes Fußklima zu gewährleisten. Ob
Schaf-, Ziegen-, Kalb-, Känguru-, Rind-,
Hirsch- oder Rossfelle, die Kunden haben alle
Wünsche offen.Auch in der Farb- undModell-
gestaltung gibt es bei Held kein Diktat. Zeit-
los klassisch oder auffallend spitz, eine Hom-
mage an die „Elvis-Zeit“, alles ist machbar
und vor allem „gut gängig“ im Sinne des
Wortes.
Ein Blick zurück
Das Schuhmacherhandwerk hat in der Fa-
milie Held Tradition. „Mein Großvater
Richard gründete 1900 sein eigenes Ge-
schäft in Bad Marienberg. In den 20er
Jahren fertigte er mit fünf Gesellen über-
wiegend grobes Schuhwerk aus Rindleder
für die Bauern und Arbeiter an, die in den
Steinbrüchen der näheren Umgebung tätig wa-
ren. Mein Vater Robert, der den Betrieb spä-
ter übernahm, fer-
tigte mit einer Sonder-
genehmigung
vor allem
orthopädische
Schuhe für
Kriegsver-
sehrte.
Ich bin beim
Vater in
die Lehre gegangen, habe
meine
Gesellenjahre aber in an-
d e r e n
Betrieben verbracht.Auf ei-
genen
Füßen zu stehen, war vonAn-
fang an meinWunsch“, erinnert sichWolfgang
Held. Den Meisterbrief in der Tasche machte
er sich 1962 in Hilden selbständig.
„Eigentlich wollte ich später den väterlichen
Betrieb übernehmen, mein eigener Betrieb war
aber inzwischen für mich wirtschaftlich die
reizvollere Aufgabe“, schätzt er heute ein. 30
Jahre führte er erfolgreich seinen Schuhre-
paraturbetrieb. Heute ist er die richtigeAdresse
für Maßschuhe in perfekter Handarbeit - eine
Arbeit, die nicht nur Schuhe hervorbringt, son-
dern auch persönliche Erfüllung.
Eigentlich hatte er sein
Schuhmacherhandwerk bereits an
den Nagel gehängt, doch als
Rentner durch den Park spazie-
ren war nicht sein Lebensziel.
Also machte sichWolfgang
Held selbständig - als Schuh-
macher.
122 Schuhmacherbetriebe sind zur Zeit bei der Handwerkskammer Koblenz
eingetragen. Neben der Reparatur gehört die Maßanfertigung zur Arbeit dieses
Handwerks - ein Handwerk mit Geschichte, das zu den ältesten überhaupt zählt.
Der Schuh, so eine philosophische Interpretation, ist das verbindende, aber auch trennende Ele-
ment zwischen dem Menschen und der Erde. Der Mensch läuft nicht auf Schotter, Waldboden
oder Sand, sondern er läuft in Schuhen. Der Schuh kann Auskunft geben über das soziale und
kulturelle Selbstverständnis in verschiedenen Zeiten und Ländern.
Kleine Schuhgeschichte(n)
Rote und schwarze Tinte sowie eine
sehr ordentlicheHandschrift füllen die
Bögen amerikanischenBriefpapiers. Die
Zeilen vermitteln den Eindruck, dass der
Autor, Werner Tillmann, schon lange in
Amerika lebt.
Manches Wort der Muttersprache hat er ver-
gessen und somit die amerikanische Vokabel
verwendet, was das Verständnis des Inhalts
aber nicht schmälert. Werner Tillmann aus
Youngstown im Bundesstaat Ohio wanderte
1967 in die USA aus. Zuvor war er über 20
Jahre als Bäckermeister tätig. Der gebürtige
Koblenzer bekam in Übersee mit seinem deut-
schen Meistertitel sofort eineAnstellung. Das
Vertrauen, dass ihm seine amerikanischenAr-
beitgeber entgegenbrachten, basierte nicht zu-
Via
Airmail
nach Koblenz
Ein Koblenzer Bäckermeister über Leben & Arbeiten in den U.S.A.
letzt auf seiner guten Ausbildung. Bis zu sei-
nem Ruhestand im Jahre 1993 hat er noch 26
weitere Jahre in Amerika gearbeitet.
In seinem Brief an die HwK Koblenz befür-
wortet er die „Promotion“ der Handwerkskam-
mer für Handwerksberufe. Über den Kontakt
zu seinem in Darmstadt lebenden Bruder, der
Fleischer ist, lässt er sich regelmäßig über die
Entwicklung des deutschen Handwerks infor-
mieren. Die guten Erfahrungen, die er als
Deutscher mit einer qualifizierten handwerk-
lichenAusbildung in den Staaten gemacht hat,
möchte er an seine jungen Kollegen in der
„alten Welt“ weitergeben. Mit roter Farbe hat
er einen Satz in seinemBrief markiert, der ihm
besonders am Herzen liegt: „Jedes Handwerk
hat goldenen Boden.“ Werner Tillmann fand
diesen in Amerika.
Handwerker haben augenblicklich gute
Aussichten in den U.S.A. - so jüngst der
Zentralverband des Deutschen Handwerks.
Die Wirtschaft boomt seit Jahren und das
bei steigender Produktivität, geringer Inflati-
on und guter Kaufkraftentwicklung der
privaten Haushalte. Die Lust auf „exotische“
Back- und Fleischwaren steigt, aber auch
der Wunsch nach Produkten anderer Gewer-
ke, wie z.B. Tischler, Bootsbauer oder Her-
steller von Kfz-Teilen. Die gute Ausbildung
in Deutschland und die Anpassungsfähigkeit
deutscher Handwerker an amerikanische
Verhältnisse führt schnell zum Erfolg.
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