Handwerk Special Nr. 150 vom 18. Juni 2011 - page 5

Handwerk Special exklusiv: Im Dialog zur Landespolitik
5
Nr. 150
18. Juni 2011
„Jammern ist nicht meins!“
Doch von Zeitnot, Müdigkeit
oder „heute hab ich genug ge-
redet“ keine Spur. Die grüne
Politikerinbeschreibtihrenrand-
vollen Terminkalender an ihrem
14. Arbeitstag als Ministerin
eher als angenehme Herausfor-
derung denn als Stresstag. Der
Phase der Einarbeitung im neu
geordneten Ressort Wirtschaft,
Klimaschutz, Energie und Lan-
desplanung gewinnt sie aus-
schließlichPositives ab. „Das ist
eine große, große Möglichkeit,
etwas zum Laufen zu bringen.“
Wenn Eveline Lemke dann von
einem riesigen Schiff erzählt,
das einenKurs einschlägt, blickt
man als ihr Gegenüber in das le-
bendige, freundlicheGesicht der
Kapitänin. Denn die gebürtige
Hamburgerin steht am Steuer,
stellt aber auch klar: „Es war
nie mein Traum, Ministerin zu
werden“.
Doch nicht nur als Politikerin ist
sie eine spannende Gesprächs-
partnerin. Auch der Mensch
Lemke fasziniert. Offen spricht
sie über persönliche und po-
litische Auf und Abs, immer
geprägt von einer Kernaussage:
„Jammern ist nichtmeins!“Eve-
line Lemke denkt positiv - und
lebt es auch aus.
Landtagswahl 2011
und was folgte
Sonntag, 27. März 2011, 18
Uhr. Rien ne va plus – nichts
geht mehr bei der Stimmabgabe
zur Landtagswahl in Rheinland-
Pfalz. Im Minutentakt folgen
Hochrechnungen, die mit einer
politischenKernaussageverbun-
den sind: Die Grünen können
massivzulegenundwerdennicht
nur dieRückkehr in denLandtag
schaffen. Als drittstärkste Kraft
inRheinland-Pfalzwerdensieei-
nen Teil der Regierung stellen.
Eveline Lemke und ihre Mann-
schaft strahlen. Doch nach er-
eignis- und entbehrungsreichen
Jahren ohne Landtagsmandat,
Im Gespräch mit Eveline Lemke, die nie davon geträumt hat, einmal Ministerin zu werden . . .
Der „Besser
mit Meister!“-
Team-Marathon
in HwK-TV:
einem Kraft kostenden Wahl-
kampf, ist der gefühlte Sieg
diesesAbends nur eineMoment-
aufnahme. „Bereits amnächsten
Tag haben wir ein Programm
entworfen, wie wir die Regie-
rungsgespräche gestalten wür-
den.“ Generalstabsmäßig haben
sich dieGrünen auf dieRolle des
Koalitionspartners vorbereitet,
verrätEvelineLemke,diebeiden
entscheidenden Gesprächen mit
der alteingesessenen SPD-Lan-
desregierung Ministerpräsident
Kurt Beck vis-a-vis sitzt. Sie
wollten nicht als unerfahrener
Juniorpartnerabgespeistwerden,
sagt Eveline Lemke in einer
Mischung aus Euphorie und
grundsolider Ehrlichkeit. Diese
Schritte sollten nicht das Ende
eines langen Weges der rhein-
land-pfälzischenGrünen zurück
in das politische Rampenlicht
markieren, sondern denAnfang.
Eveline Lemke steht dafür wie
wohlkeinanderesParteimitglied
im Land.
Familiär durch
die SPD geprägt
1964 in Hamburg geboren,
wächst sie in einer politisch
engagierten und bekannten
Familie auf. Vater Dietrich ist
wie Onkel Willi Lemke (Ma-
nager von Werder Bremen und
Bildungssenator)SPD-Mitglied.
Eva Lemke, mit Willi verhei-
ratet, ist Umweltsenatorin der
Hansestadt Bremen. „Ein Kind
bekannterElternzu sein, ist nicht
einfach“, erinnert sich Eveline
Lemke. Insofern geht sie behut-
sam mit ihrer Rolle als Mutter
undFamilienmenschum.Jeweils
zwei eigene Kinder haben sie
undHartmut Tann (aktivesSPD-
Mitglied) indieEhemitgebracht
– für beide die zweite. „Ich kann
auf beste Erfahrungen bei der
grün-roten Koalition verwei-
sen“, bemerkt sie lächelnd zu
ihrem Privatleben.
Den Willen und die Fähigkeit,
als TeamZiele zu definieren und
gemeinsamzu erreichen, lebt sie
nunauchalsMinisterinaus.„Das
Ministerium ist interdisziplinär
aufgestelltundichinvestiereZeit
und Energie, Strukturen ideal zu
verzahnen, Synergien zu finden
und zu nutzen.“ Der Vergleich
des Billardspielens fällt: Da
ist die weiße Kugel Lemke als
Impulsgeberin, die ihr Umfeld
anstößt. „Jetzt rollen die bunten
Bälle.“ Die große Transformati-
on, die begonnen hat, findet sie
„genial“.„ImMinisteriumgibtes
gut ausgebildete und engagierte
Mitarbeiter, mit denen ich viel
erreichenkannundwerde.Wenn
man dabei auch noch Spaß hat,
spürt man eine große Zufrieden-
heit.“ Also wird nicht nur viel
gearbeitet, sondern dabei auch
viel gelacht.
Überzeugungstäterin
Eveline Lemke
Angesprochenaufdiemarkanten
Unterschiede, sieht Lemke auf
die Arbeitsweisen ihrer Vor-
gänger Bauckhage (FDP) und
Hering (SPD), stellt die Wirt-
schaftsministerin fest: „Ich halte
keine Gießkanne in der Hand,
aus der ein bunter Strauß der
Wirtschaftsförderung sprießt.“
Im direkten Dialog Probleme
analysierenundgezielt abstellen
– das ist ihr Weg, „was Zuhören
und Sammeln voraussetzt“.
Dabei legt sie Wert auf Fairness
im Umgang und ist auch bereit,
bei Regelverstoß ihrerseits in
die Offensive zu gehen. Es
klingt nach der Aussage einer
Überzeugungstäterin, wenn
Eveline Lemke sagt: „Politiker
müssen das, was sie sagen, auch
leben.“
Für siepersönlichheißt das auch:
„Ich habe bei meiner politischen
Arbeit nicht die Grünen und ihr
Parteiprogramm vor Augen,
sondern sehe die Sache an sich.“
DieNachfrageeiner„politischen
Kompatibilität“, sollte die grüne
Politik „in der Sache an sich“
nicht mehr dem Lemke’schen
Ideal entsprechen, beantwortet
sie pragmatisch: Die größten
Schnittmengen erkennt sie mit
der SPD-Politik, am weitesten
entfernt sei die FDP. „An eini-
gen Stellen sind wir sogar eng
dran an der CDU“, was Lemke
mit 35 politischen Regional-
bündnissen in Rheinland-Pfalz
unterstreicht.
Grün-schwarze
Twitter-Gefechte
Mit Blick in den Landtag und
auf das Verhältnis zu CDU-
Spitzenfrau JuliaKlöckner stellt
Lemke klar: „Sie ist sicher nicht
meine beste Freundin und wird
es auch nicht werden, aber als
Politikerinnen schätzen wir
uns“, woran dank Twitter auch
die Öffentlichkeit teilhaben
darf. Mancher grün-schwarzer
Gedankengangwurdehierweiter
geführt – kontrovers bis unter-
haltsam, aber immer so, „dass
man auch amnächsten Tag noch
seine Meinung vertreten kann“.
Das, so kristallisiert sich im
Umfeldumgehenwird ...werden
die kommenden Jahre zeigen.
Doch so, wie Eveline Lemke
die Grünen aus der Versenkung
der Landtagswahl 2006 (4,6 %
der Stimmen und damit ohne
Landtagsmandat) herausge-
führt hat, so ist sie auch mit
dem Totalschaden ihres Wes­
terwälder Wohnhauses 2007
umgegangen, „das ich gerade
nach ökologischen Prinzipien
komplett restauriert hatte. Beim
Sturm Kyrill kippte dann ein 30
Meter langerBaumauf dasDach
und alles war hin“. Wo andere
hinschmeißen, krempelt Lemke
die Arme hoch, baut Häuser und
Parteilandesgruppenneuauf, die
nach vermeintlichen Kollatera-
lereignissen für andere einen
wirtschaftlichen Totalschaden
darstellen. Sie macht es nicht
verbissen-kämpferisch, sondern
aus einer bemerkenswerten,
lockeren Selbstüberzeugung
undEigenmotivationheraus, die
– irgendwie zwangsläufig – auf
ihr Umfeld überspringt.
Darauf wird man sich in der
Mainzer Politiklandschaft ein-
stellen müssen – und sicher
künftig auch anderswo. Das ist
eine neue Art, weitab üblicher
Muster, Politik zu gestalten,
und wird nicht nur grüne Mit-
menschen begeistern.
Bei den Ahrweiler Handwer-
kern jedenfalls hat die neue
Wirtschaftsministerin großen
Zuspruch erhalten. Denn das,
was sie vortrug, hatte Hand und
Fuß. Und Eveline Lemke, die
Ministerin, machte auch klar:
Sie will von den Praktikern des
Handwerks lernen, sucht den
direkten Dialog, um politische
Möglichkeiten und wirtschaft-
liche Interessen abzuwägen,
miteinander in Einklang zu
bringen.
Da klang der abgewandelte
Spruch „Handwerk hat grünen
Boden“ auch eher versöhnlich,
als provokant. Ihre Nähe zum
Handwerk ist spürbar – nicht
nur, weil Eveline Lemke einmal
beim Hausbau selbst zur Hand-
werkerin wurde.
Staatsminis­
terin Eveline
Lemke spricht
beim Hand-
werk in der
Ahr-Akademie.
Laufe des einein-
halbstündigen Ge-
spräches heraus, ist
generell ein „Mar-
kenzeichen Lem-
ke“. Was sie sagt
ist ohne Schnör-
kel, zusätzliches
Pathos, soll nicht
beeindrucken als
vielmehr aufklä-
ren, informieren.
Und klingt dabei
entwaffnendoffen,
ehrlich und über-
zeugend. Wie da-
mit ihr politisches
Sportlich: Wirtschaftsministerin Eveline Lemke beim Zielein-
lauf des „Besser mit Meister!“-Team-Marathons Ende Mai.
Es ist spät geworden. Eveline Lemke tauscht sich am Ende
eines langen Mainzer Arbeitstages geduldig und ausführlich
in der Ahr-Akademie der HwK Koblenz in Ahrweiler mit Hand-
werkern über grüne Wirtschaftspolitik aus. Der Saal ist bis auf
den letzten Platz gefüllt. Um kurz vor neun steuert sie dann
den letzten Tagestermin an: Ein Interview für die 150. Ausga-
be von Handwerk Special.
Foto: Frey-Pressebild
1,2,3,4 6,7,8,9,10,11,12-13,14,15,16,...24
Powered by FlippingBook