Ein- und Aufstieg im Handwerk: Zweite Karriere mitten im Leben
21
Nr. 192
12. September 2015
www.handwerk-special.deEs ist nie zu spät
„Meine Kinder sind stolz auf mich und ich bin es auch“, freut
sich Erika Wukkert aus Neuwied. Die 39-Jährige möchte Zahn-
technikerin werden. Sie ist im dritten Lehrjahr und wird im
Zahntechniklabor Hanneward + Dietz in Neuwied ausgebildet.
„Vielleicht kann ich mit meinem Weg Mut machen und zeigen,
dass der Spruch, es ist nie zu spät, keine Floskel ist.“
Die Spätaussiedlerin aus Kasachstan lebt seit 15 Jahren in
Deutschland. „Vor der Geburt meiner Tochter habe ich in Russ-
land als Kosmetikerin gearbeitet“, erzählt sie. In Deutschland
erschwerten zunächst nicht ausreichende Sprachkenntnisse eine
berufliche Neuorientierung. Sie wurde noch einmal Mutter und
hat Ausbildungspläne zunächst auf Eis gelegt.
„Zwischenzeitlich habe ich meinen finanziellen Etat mit Hilfs-
jobs immer wieder aufgebessert. Es war aber mein Ziel, einmal
eine fundierte Ausbildung zu machen und darauf aufzubauen“,
sagt sie. „Meine Freundin arbeitet in Kasachstan als Zahnärztin
und hat manchmal zu Hause Zähne modelliert. Dadurch wurde
bei mir Interesse für das Handwerk geweckt“, begründet sie
ihren Berufswunsch. Ihrer Bewerbung folgten das Vorstellungs-
gespräch und ein praktischer Test. „Ihre Fingerfertigkeit beim
Biegen des Metalldrahts in die gewünschte Form sowie weitere
manuelle Aufgaben haben mich restlos überzeugt“, sagt Zahn-
technikermeister Roland Hanneward. Nach einem Praktikum
startete die zu Beginn der Ausbildung 36-jährige ihre Lehre.
Erika Wukkert will Zahntechnikerin werden
Weltweit im Einsatz
Bruno Berg aus Leubs-
dorf war Leiter des Pro-
jekts „One Hyde Park“,
der teuersten Immobilie
Europas mitten in Lon-
don. Auch für „The
Shard“, einem Wolken-
kratzer in Londons Stadt-
teil Southwark, der mit
310 Metern von Juli bis
Oktober 2012 das höchste
Gebäude Europas war
und derzeit das höchste
Gebäude der EU ist, war
er Ansprechpartner in
Sachen Metall- und Fas-
sadenbau.
Der 58-Jährige betont, dass
seine fundierte handwerkliche
Ausbildungder Schlüssel für die
beruflicheEntwicklung ist. Bru-
no Berg ist Metallbauermeister,
Betriebswirt des Handwerks,
Schweißfachmann (theore-
tischer Bereich). Außerdem hat
er sich kürzlich bei der Hand-
werkskammer (HwK) Koblenz
zum Mediator qualifiziert.
Angefangen hat die berufliche
KarrierefürBrunoBergmiteiner
Metallbauerlehre im elterlichen
Betrieb.EsfolgtenderAbschluss
zum Betriebswirt und die Meis-
terprüfung. Als Geschäftsführer
im Unternehmen war er von
1986bis 2002verantwortlich für
Schlosserarbeiten und Metall-
baufassaden, beispielsweise für
die Gestaltung der Fassaden am
Nürburgring und die kompletten
Schlosserarbeiten im Hotel Hil-
ton in Frankfurt.
Später entschloss sich Bruno
Berg, als selbstständiger Pro-
jektleiter imBereichMetall- und
Fassadenbau auch international
zu arbeiten.
„Ich wollte mich spezialisieren
und in eine klare Richtung ge-
hen“,begründeterdiesenSchritt.
Metallbauermeister Bruno Berg ist ein gefragter Fachmann
Das Know-how des Hand-
werksmeisters sprach sich in der
Branche schnell rum. Die durch
seine in zahlreichen Weiterbil-
dungen erworbenenFähigkeiten
halfen ihm, internationale Bau-
abwicklungen zu klären und zu
vollenden. „Man wird weiter
empfohlenundderSchneeballef-
fekt tritt ein“, erklärt BunoBerg.
Metallbauermeister
Bruno Berg.
Als Leiter von Großprojekten
war Bruno Berg verantwort-
lich von der Überwachung der
Zeichnungserstellung, Mate-
rialmanagement, Fertigungs-
überwachung bis zur Montage
und Endabrechnung. „Ich habe
den Metallbau von der Pike auf
gelernt undkannauf derBaustel-
le praxisnahe Tipps geben und
zeigen, worauf es ankommt“,
sagt der Metallbauermeister. Er
sagt auch, dass er immer wieder
neueHerausforderungengesucht
und sein Können hinterfragt hat.
Seit Ende 2013 ist der engagierte
Handwerksmeister aus Leubs-
dorf Direktor der Fassadenab-
teilung für Großprojekte bei der
MaceGroup,eineminternational
tätigen Generalunternehmen
mit Sitz in London und einem
Jahresumsatz von circa zwei
Milliarden Euro. Er überwacht
imBereichMetall-undGlassfas-
sadendenkomplettenBauablauf
und das Qualitätsmanagement
bis hin zur externen Fertigungs-
übewachung von Fassadenfir-
men auf der ganzen Welt. „Mit
56 Jahrenhabe ichmeinen ersten
Angestelltenvertragunterschrie-
ben. Man ist nie zu alt, Neues
zu wagen“, betont der Meister
abschließend.
Produktion und Qualitätskontrolle von Bauteilen in China.
Baustelle in London.
Auslandseinsätze für unter-
schiedliche Unternehmen führ-
tendengefragtenFassadenspezi-
alisten nach Polen, Irland, Saudi
Arabien,BelgienunddieNieder-
lande. Ständige Weiterbildung
ist für den Handwerksmeister
eine Selbstverständlichkeit.
„Man muss immer auf dem
neustenStandder Technik sein.“
Erika Wukkert und Zahntechnikermeister Harald
Dietz im Neuwieder Ausbildungsbetrieb.
„Die Schulzeit liegt doch lange hinter mir und das Lernen fällt
nicht leicht. Ich werde aber sehr unterstützt. Im Betrieb kann
ich immer fragen, die Mitschüler in der Berufsschule helfen mir
und meine Tochter hört mich ab. Sie lernt Reiseverkehrskauf-
frau. Wir sind beide Lehrlinge und spornen uns gegenseitig an“,
erzählt sie. Sie weiß, dass auch ihr achtjähriger Sohn in ihr ein
Vorbild sieht.
Im Winter 2016 steht für Erika Wukkert die Gesellenprüfung an.
Danach möchte sie erfolgreich ins Berufsleben starten. Der Ge-
sellenbrief ist eine fundierte Basis.
Infos zur Lehre im Handwerk bei der Ausbildungsberatung
der Handwerkskammer (HwK) Koblenz, Tel. 0261/ 398-333,
aubira@hwk-koblenz.de.
Foto: privat
Foto: privat