Handwerk Special Nr. 108 vom 17. Dezember 2005 - page 12

17. Dezember 2005
Nr. 108
Von Auto bis Boot: Sattlerhandwerk vorgestellt / Rollender Traum
Gut gesattelt Richtung Zukunft
Werbung in eigener Sache: Sattlermeister über die Vielfalt ihres Berufes
Wer an offene Cabrios denkt,
verbindet damit Sommer, Son-
ne und hohe Temperaturen.
Und wie ist das mit dem Satt-
lerhandwerk? Werden hier nur
Sättel gefertigt? Ein klares
„Nein“ kommt von Dreien als
Antwort, die es wissen müssen,
denn sie sind alle Sattlermeis-
ter. Ihre Arbeit hat längst viel
mehr mit Cabrios zu tun als
mit Reithilfen.
„Beides spielt in der Geschichte
unseres Handwerks eine Rolle”,
berichten Edi und Thomas Hür-
ter,dieeinenFamilienbetriebmit
Standorten in Mayen und Ko-
blenz betreiben, sowie Walter
Kneip, der, heute pensioniert,
seine Werkstatt an die Familie
Hürter vermietet hat. „Als die
Sattlerarbeiten aller Art für Kfz, Boote, Möbel u.a. 8 Mitarbeiter
Tel.: 02651/94 69 68 oder 0261/42 24 2
Steckbrief: Sattlerei Hürter, Mayen u. Koblenz
erstenKraftfahrzeugeaufkamen,
ging die Sattelherstellung zu-
rück. Die Menschen stiegen lie-
ber in PS-starke Wagen ein, an-
statt sich auf den Rücken eines
Pferdes zu schwingen.“ Eine
Veränderung für das Handwerk,
doch schnell wurde deutlich,
dass es auch am Automobil viel
Arbeit für die Sattler gab.
Vom Papst bis zur Polizei
„Heute fertigen wir Sitzpolste-
rungen, Dächer für Cabrios bis
hin zu ganzen Planen für Lkws“,
sodieHandwerksmeisterHürter,
deren Unternehmen vor 84 Jah-
renvomGroßvaterAntonHürter
gegründet wurde. Doch über das
rollende Verkehrsmittel hinaus
wird auch in vielen anderen Be-
reichen Sattlerarbeit benötigt.
„Gerade imWinter sindwir sehr
stark bei Bootsbesitzern gefragt.
Sie nutzen die Saisonpause für
Reparaturen oder Umbauten.“
Aktuell wird ein Polizeiboot mit
demrichtigenBootsverdeckver-
sorgt. „Doch wir kommen auch
zumKunden hin, ist das Boot zu
groß für den Transport“, macht
der 33-jährige Thomas Hürter
deutlich. Dann verwandelt sich
das Schiff in „eine kleineSattler-
werkstatt, denn wenn es sein
muss, bringen wir neben den
ausgesuchtenStoffenoderKunst-
stoffplanen auch eine Nähma-
schine mit an Bord“. Prominen-
tester Auftrag zuWasser war die
Anfertigung einer Stoffüberda-
chung für das Schiff der „Köln-
Düsseldorfer“,mit demimSom-
mer Papst BenediktXVI. anläss-
lichderWeltjugendtage auf dem
Rhein vor Köln unterwegs war.
Schön für die zahlreichen Besu-
cher und auch den Papst: Das
Wetter war super, also wurde
die Arbeit der Hürters nicht ge-
braucht, denn das Schiff fuhr
„offen“.
Eine Geschichte fortgesetzt
AchtMitarbeiter arbeiten indem
Mayener Traditionsunterneh-
men, das seit Mai 2005 auch in
Koblenz vertreten ist. Die Folge
eines tödlichen Unfalls in der
Familie von Walter Kneip, der
seinenSchwiegersohnundNach-
folger im Unternehmen verlor.
Für den 74-Jährigen ein Schick-
salsschlag. Hinzu kamdie unge-
wisse Zukunft um das Unter-
nehmen, dass er 1960 von sei-
nem Ausbilder Jakob Kornely
übernommenhatte.WalterKneip
und die Familie Hürter verbindet
seit Jahren eine Beziehung, die
weit über den Beruf hinausgeht.
„Wir haben überlegt, wie wir
helfen können“, sagt Edi Hürter,
viele Jahre Mitglied der HwK-
Vollversammlung und Innungs-
Obermeister. Und so arbeiten
auch heute noch in der Rauen-
thaler Werkstatt Sattler - so wie
seit mehr als 70 Jahren.
Ob Sitzbank
für einen
Oldtimer,
ganze Lkw-
Plane - das
Sattlerhand-
werk ist ein
vielseitiger
Beruf.
Die Sattler-
meister
Thomas
Hürter und
Walter Kneip
(rechts) an
einem Polizei-
boot, an dem
Teile des
Verdecks
gearbeitet
werden.
Beim Sattler in guten Händen: Walter Kneip restaurier-
te einst diesen Mercedes SSK. Ein Modell, das jüngst
auf einer Versteigerung für über 6 Mio. Euro den
Besitzer wechselte.
Scheichs und Regierungen
fuhren ihn, den Mercedes S
600. Berühmte Schauspieler,
schwerreiche Industrielle,
gekrönte Häupter und selbst
der Papst gehörten zu denen,
die in seinen ausladenden
Polstern Platz nahmen.
Das Sahnehäubchen dieses le-
genderen Fahrzeuges, das ab
1964 17 Jahre lang gebaut wur-
de, zierte im Namen die Zu-
satzbezeichnung Pullmann.
Diese Langversion des S 600
maß 6,24 m. Nur 428 Fahrzeu-
ge dieser Sonderanfertigung
wurden in reiner Handarbeit
gebaut. Eine davon ist an man-
chen Tagen in Koblenz zu se-
hen. Sie gehört keinem Film-
schauspieler und wird auch
nicht von adligen Händen ge-
lenkt - Besitzer ist ein Hand-
werksmeister. Walter Kneip,
Sattlermeister im „Unruhe-
stand“, erwarbdieStaatslimou-
sine seinerzeit von einemKun-
den, der als Gegenleistung für
handwerkliche Arbeiten den
MercedesinZahlunggab.Nach
umfangreicher Aufarbeitung
der Technik und Innenaus-
stattung - al-
Was für ein Auto ...
Walter Kneip: „Zahlungsmittel Staatslimousine“
les in Meisterhand durch ver-
schiedene Handwerke - rollt
der Wagen in einem 1-A-Zu-
stand für besondere Anlässe
durch den Straßenverkehr.
Walter Kneip, weniger Staats-
mann als vielmehr Handwer-
ker mit einer guten Seele,
chauffiert mit dem riesigen
Mercedes heuteHochzeitspaa-
re oder auch mal eine ganze
Kindergartengruppe durch die
Gegend. „Gerade für die Klei-
nen ist es einRiesenspaß,wenn
sie König und Königin für ei-
nen Tag spielen und mit dem
Hofstaat Platznehmen.“Umso
schwerer fällt dem 70-jähri-
gen Koblenzer die Entschei-
dung, sich von dem histori-
schen Untersatz zu trennen.
„Ich habe dieses Auto immer
als ein Hobby gesehen, dem
ich mich als Handwerker na-
türlich voll und ganz gewid-
met habe. Doch im Alter än-
dern sich dieHobbys oderman
hat nicht mehr so viel Zeit für
das eine oder andere.“ Und so
heißt es jetzt: Staatslimousine
sucht neuen Besitzer ...
Staatslimousine sucht neuen Besitzer: Diesen
Mercedes S 600 Pullmann erhielt Sattlermeister
Walter Kneip einst von einem Kunden als Entloh-
nung für seine Arbeit. Jetzt will der 74-Jährige den
automobilen Traum verkaufen.
Was macht eigentlich ein Sattler?
Sattler üben ein ebenso traditionsreiches wie zeitgemäßes Hand-
werk aus: Sie sind im Reitsportbereich tätig, aber auch in der
Herstellung von Taschen, Auto- oder Bootsausstattungen bis hin zu
Sportgeräten bzw. sportlichem Zubehör. Sie arbeiten mit Leder
genauso wie mit modernen Materialien, z.B. Kunststoffen, und mit
Textilien. Sattlerarbeit ist, ganz gleich in welchem Bereich und an
welchem Objekt, immer eins: individuelle Qualitäts- und Maßar-
beit. Ein Handwerk, das Verantwortung übernimmt, besonders bei
Arbeiten an Automobilen. Häufig sind es Oldtimer oder teure
Cabriolets, die ihren Händen anvertraut werden.
Im nördlichen Rheinland-Pfalz gibt es aktuell 26 Betriebe, die für
das Sattlerhandwerk bei der Handwerkskammer Koblenz eingetra-
gen sind. In ihnen werden 5 Lehrlinge in verschiedenen Fachberei-
chen ausgebildet. Mehr Informationen zum Ausbildungsberuf gibt
die Pädagogische Anlaufstelle der HwK Koblenz, Tel.: 0261/398-
331, Fax: -989, E-Mail:
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...32
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