Handwerk Special Nr. 108 vom 17. Dezember 2005 - page 18

Handwerker, die in Deutschland eine Heimat gefunden haben
17. Dezember 2005
Nr. 108
30. Weihnachtsgespräch mit Karl-Jürgen Wilbert: Ausländische Mitbürger und ihre Ziele und Pläne als Meister
„Ich lebe seit 36 Jahren in
Deutschland. Mein Vater ge-
hörte zu den Gastarbeitern, die
in den 60er Jahren nach
Deutschland gekommen sind“,
erzählt der griechische Indus-
triemechaniker Dimitri Agiota-
fitakis aus Limburg.
„Als unsere Familie nachkam,
war ich vier Jahre alt. Ich bin in
Deutschlandaufgewachsen,hier
istmeinZuhause.MeineSchlos-
serlehre hat mir großen Spaß
gemacht und mit der Meister-
prüfung erfülle ich mir einen
Herzenswunsch. Der Meister-
brief ist etwas ganz Besonderes
für mich“, erzählt der 40-Jähri-
ge. „Wenn ich nach Kreta zu
Verwandten fahre, ist das für
mich Urlaub. Auch wenn dort
fast immer die Sonne scheint,
sehne ich mich wieder nach
Deutschland zurück. Heimat ist,
wo man glücklich ist und hier
bin ich glücklich“, sagt er. Und
er sagt es mit einem nachdenk-
lichen Lächeln.
Dimitri Agiotafitakis gehört zu
den Gästen, die HwK-Hauptge-
schäftsführerDr. h.c.mult.Karl-
Jürgen Wilbert im Dezember
2005 zu einem vorweihnachtli-
chen Gespräch eingeladen hat.
Weitere Gesprächspartner des
Hauptgeschäftsführers am fest-
lich gedecktenKaffeetisch sind:
der marokkanische Elektroins-
tallateurMimunMessaoudi, der
aus Bosnien-Herzegowina
stammende Maurer und Beton-
bauer Milivoje Vaselic sowie
die Friseurinnen Thu Hang
Pham und Thi-Thuy-Ngoc
Riedel aus Vietnam.
Tradition seit 30 Jahren
Bereits zum 30. Mal - immer
zum Jahresende - trifft Wilbert
einige ausländische Handwer-
ker, die sich bei der HwK Ko-
blenz auf ihre Meisterprüfung
vorbereiten. Er spricht dann mit
ihnen über ihr Leben und Ar-
beiten in Deutschland. Er fragt
nach ihren Erfahrungen, ihren
Zukunftsplänen,Wünschen und
Träumen. Er fragt sie auch,
welche Bedeutung Weihnach-
ten für sie und ihre Familien
hat, vor allem dann, wenn sie
nicht aus einer christlichen
Kulturwelt kommen.
Zum30-jährigen Jubiläum liegt
es nahe, die Gedanken Revue
passieren zu lassen. „Es waren
In Deutschland lohnt es, sich zu engagieren
spannendeBegegnungen, die oft
leisenTöne stimmtennachdenk-
lich. Die Gespräche in der Vor-
weihnachtszeit mit Menschen,
die sich in unserem Land eine
neue Existenz aufgebaut haben,
die optimistisch und zuversicht-
lich sind, brachten auch etwas
Wärme in den manchmal kalten
Alltag“, resümiert Wilbert.
Aus den Wurzeln leben
DerMarokkanerMimunMessa-
oudi kam imAlter von drei Jah-
ren nach Deutschland. Er hat
die deutsche Schule besucht und
seine Elektroinstallateurlehre
erfolgreich beendet. Er spricht
fließend die deutsche Sprache
und fühlt sich wohl hier. Und
unternehmen machte er sich im
Forst- und Landschaftsbau
selbstständig und arbeitet über-
wiegend als Subunternehmer.
Als zukünftiger Maurer- und
Betonbauermeister plant er, sein
Unternehmen in eine Baufirma
umzuwandeln. „Eine gute Idee“,
findet Wilbert, „wenn die Kon-
junktur sich entwickelt, wird
sich der Bau stark erholen.“
Aus Liebe und Neugier
Die beiden Vietnamesinnen ka-
men „der Liebe und der Neugier
wegen nach Deutschland“. Thi-
Thuy-Ngoc Riedel hat ihren
deutschenMann vor sieben Jah-
ren in Hanoi kennen gelernt und
ist ihm in den Westerwald ge-
nen Deutschstämmiger nicht zu
unterscheiden. Schule, Ausbil-
dung, erste Berufserfahrung,
Meisterprüfung, Sprung in die
Selbstständigkeit, harte Arbeit,
Erfolg und Ehrgeiz. Eine glück-
liche Familie ist ihnen wichtig.
Thu Hang Pham, deren Ehe zer-
brach, wünscht sich, dass sie
ihre beiden Söhne gut allein er-
ziehen kann. „Ich denke von
einem auf den nächsten Tag.“
Weihnachtsbräuche
„Weihnachten?WelcheGedan-
ken bewegenSie?“, fragt Haupt-
geschäftsführer Wilbert zum
Ende des Gesprächs seine Gä-
ste. Milivoje Vaselic erzählt,
dass in seiner Familie gleich
zweimal Weihnachten gefeiert
wird: am 24. Dezember und am
6. und 7. Januar, wie es seiner
orthodoxenReligion entspricht.
So ist es auch bei Dimitri
Agiotafitakis. „Wer hier lebt,
muss sich mit den Bräuchen
auseinander setzen“, sind sie
überzeugt. „Ganz normal“
Weihnachten, mit Tannenbaum
und Gänsebraten, feiert Thi-
Thuy-NgocRiedel. „Mein deut-
scher Mann möchte es so.“ Die
Buddhistin Thu Hang Pham er-
zählt vom „tete-Fest“ Mitte Fe-
bruar in Vietnam. „Ich habe al-
lerdings keine so engen Bin-
dungen mehr in meine Heimat
und feiere Weihnachten wie die
Deutschen.“
Mimun Messaoudi weiß, auch
wenn er es selbst nicht feiert,
um die Bedeutung des Weih-
nachtsfestes für die Christen. Er
kennt auch den Stollen, das tra-
ditionelle deutscheWeihnachts-
gebäck, das derHauptgeschäfts-
führer seinen Gästen zum Ab-
schied überreicht.
dennoch: „Auch, wenn ich hier
zu Hause bin, hält unsere Fami-
lie an der Tradition fest.“ Er
sagt, dass er sich als Moslem in
Deutschland der islamischen
Gemeinschaft im Herzen ver-
bunden fühlt und seinen Sohn
imSinne seinerReligion erzieht.
„Ein Weihnachtsbaum gehört
nicht dazu.“ „Ich würde dar-
über nachdenken, des Kindes
wegen“, rät Karl-Jürgen Wil-
bert. „Es wächst hier auf und
wird, wenn es sich mit Alters-
gefährten unterhält, etwas ver-
missen. Außerdem hat der
Weihnachtsbaum nichts mit
Religion zu tun“, so der Haupt-
geschäftsführer.
Milivoje Vaselic aus Vallendar
kam zum ersten Mal 1990 als
Saisonarbeiter in die Bundesre-
publik. Er kehrte zunächst in
dieHeimat zurückundkamnach
Ausbruch des Krieges im ehe-
maligen Jugoslawien 1993 wie-
der nachDeutschland. Nach 11-
jähriger Tätigkeit in einemBau-
folgt. „Die Arbeit in einem chi-
nesischen Restaurant hat mir
nicht gefallen und so habe ich
zur Friseurin umgeschult. Ein
wunderbar kreativer Beruf.
Vielleicht eröffne ich später ei-
nen eigenen Salon. Als Selbst-
ständige kann ich mir die Zeit
besser einteilen und kann mich
vielleicht mehr meinem Sohn
widmen“, erzählt sie. „Sie be-
herrschen schon das rollende
R des Westerwalds“, lacht
Wilbert. Thu Hang Pham lebt
schon 15 Jahre in Deutschland.
Die Neugier ihrer Jugend trieb
sie damals ins Ausland. „Ich
wollte wissen, wie Demokratie
funktioniert“, sagt sie.AuchThu
Hang Pham kann sich vorstel-
len, später einen eigenen Salon
zu führen.
Heimat in Deutschland
Die Frage des Hauptgeschäfts-
führers, ob seineGäste sich vor-
stellen könnten, wieder in ihr
Heimatland zurückzukehren,
verneinendieGesprächspartner.
Sie sind verbunden mit dem
30. HwK-Weihnachtsgespräch: Dimitri Agiotafitakis,
Milivoje Vaselic und Mimun Messaoudi (v.l.) ...
dass die neue Bundesregierung
eine gute Politik machen und
dass sich der Arbeitsmarkt er-
holen wird.
„Deutschland ist ein Land, wo
es sich lohnt, zu leben und sich
zu engagieren. Mit dem Erwerb
des Meisterbriefes tragen Sie
viel zur Sicherung Ihrer berufli-
chen Existenz bei. Sie können
ausbilden und mithelfen, den
Fachkräftenachwuchs zu si-
chern“, bekräftigt Wilbert seine
Gäste. Thi-Thuy-Ngoc Riedel
räumt allerdings ein, dass sie
„schonmanchmal großesHeim-
weh nach Vietnam hat“.
Zukunftspläne
„Was möchten Sie in fünf Jah-
renmachen?“, interessiert Karl-
Jürgen Wilbert. Die Meister in
spe sind optimistisch und über-
zeugt, dass es beim Aufbau ih-
rer eigenen Existenz keine Rol-
le spielt, woher sie kommen.
Ihre Lebensläufe sind von de-
Land, das ihnen Hei-
mat wurde. Sie haben
in deutschem Boden
Wurzeln geschlagen.
Beim Handwerk füh-
len sie sich wohl. Sie
schätzen die finanzi-
elle Sicherheit für sich
und ihre Familien. Sie
sind zuversichtlich,
... sowie Thi-
Thuy-Ngoc Riedel
(r.) und Thu Hang
Pham (l.) sprachen
mit Dr. h.c. mult.
Karl-Jürgen
Wilbert.
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