Handwerk Special Nr. 64 vom 29. Oktober 1998 - page 9

HwKKoblenz ehrt Handwerkssenioren, die 1947/48 ihre Meisterprüfung ablegten
Altmeisterfeier:
Koblenz in der Stunde Null:
LebensmittelkartenundBezugs-
scheine, Trümmer und Woh-
nungsmangel.VieleMännersind
fern von ihren Familien in
Kriegsgefangenschaft, die Städ-
te zerstört, die wirtschaftlichen
Bedingungen ungewiß. 1947/
1948 ist der härteste Hunger-
winter der Kriegs- und Nach-
kriegszeit. DieStundeNull, aber
auch gekennzeichnet durch den
ungebrochenenWillen, vonvor-
ne anzufangen, die Stadt lebens-
fähig zu machen und die Bevöl-
kerung zu versorgen. Diesen
Willen hat das Handwerk von
Anfang an mitgetragen. Und
dafür stehen immer Menschen.
Einige von ihnen wurden jetzt
von der HwK geehrt.
Die Koblenzer
Stadtmauer
Handwerkskammer Koblenz verleiht GoldeneMeisterbriefe zum 50-jährigen Handwerksjubiläum
Flüssig gegen Flüssig
Am Zweiten Weltkrieg hatte
Anton Wiss als Soldat teilge-
nommen, vornehmlich im Mit-
telmeerraum. Dann war er eini-
ge Monate in Kriegsgefangen-
schaftinVerona.TrotzeinerVer-
wundung kam Anton Wiss nach
Hause an die Mosel mit dem
Vorsatz zurück, ab jetzt „feste
zuarbeiten“.Gemeinsammitsei-
ner Ehefrau ist er von Haus zu
Haus gezogen und hat die Leute
frisiert. Er erzählt von den da-
mals geläufigen Zahlungsmit-
teln: „Ein Pfund Butter gegen
einen Haarschnitt. Wollte man
einen Dauerwellapparat erwer-
ben, mußte man schon einige
Pfund Kupfer hergeben. Die
nötigen Chemikalien wurden
gegen Wein eingetauscht: Flüs-
sigkeit gegen Flüssigkeit.“
Trümmerlandschaft
Schon alsMädchenwollteKera-
mikmeisterin Klotilde Giefer-
Bahn als Töpferin arbeiten. Ihr
Vater,Möbelschreinermitkünst-
lerischen Neigungen, besuchte
mit seiner Familie 1936 eine
Töpfer-Ausstellung in Höhr-
Grenzhausen. Hier bildete sich
ihr Berufswunsch heraus, den
sie hartnäckigvertrat, bis ihrVa-
ter einwilligte. 1938 begann sie
ihre Lehre, den Weg von der
elterlichenWohnung inKoblenz
nachHöhr-Grenzhausenlegtesie
zu Fuß zurück.
Während des Krieges besuchte
sie die Keramikfachschule in
Höhr-Grenzhausen, finanziert
dadurch, daß sie für bis zu zehn
Arbeitgeber gleichzeitig tätig
war.1944mußteKlotildeGiefer-
Bahn mit ansehen, wie Koblenz
zerstörtwurde.DieFamiliemuß-
te ihre Wohnung wegen Ein-
sturzgefahr räumen und wurde
in alle Winde verstreut. Den-
noch: 1947 legte sie als Lehr-
gangsbeste ihre Meisterprüfung
vor der HwK in Koblenz ab. Im
nun gegründeten Betrieb „Ge-
schwister Bahn“ bildete sie den
jüngeren Bruder und die jüngere
Schwester aus. Dieser Betrieb
und der später von Klotilde
Giefer-BahnmitihremEhemann
Anläßlich
ihres 25-
jährigen
Werkstatt-
jubiläums
stellte die
Galerie
Handwerk
Koblenz
1980
keramische
Arbeiten
von
Töpfer-
meisterin
Klotilde
Giefer-
Bahn aus.
gegründete gehörte später zuden
bekanntesten Keramikbetrieben
in Höhr-Grenzhausen.
Schilder für Koblenz
Auch der Schildermalermeister
Hans Ewen kämpfte als Soldat
im Zweiten Weltkrieg, wurde
siebenmal verwundet und war
nachdemKrieginHeiligenhafen
imInternierungslager.Nachdem
er zwei Monate in Lübeck gear-
beitet hatte, kehrte er in seine
Heimatstadt Koblenz zurück.
Seine Meisterprüfung legte er
im März 1948 ab. Als Meister-
stück fertigte er ein Schild an,
auf demeineAllegoriedesEvan-
gelisten Johannes abgebildet ist.
Die Erläuterung seines Meister-
stücks existiert auch heute noch,
nur leider ist das Schild selbst
abhanden gekommen. Hans
Erwen erzählt, wie er sich aus
der britischen Zone seinen Lack
schmuggelte. Etliche Flaschen
Wein mußte er eintauschen, um
seinArbeitsmaterial zu beschaf-
fen. Auch für ihn hieß es: „Flüs-
sigkeit gegen Flüssigkeit“. Un-
zählige Werbeschilder an Häu-
sern, auf Autos und anderen Ge-
genständen, die das Bild in der
Koblenzer Innenstadt beleben
undbelebten,stammenvonHans
Erwen.
Schildermalermeister Erwen hinterließ im Stadtbild
auf Fassaden und Fahrzeugen sichtbar Spuren.
Im Zuge des Wiederaufbaus in
Koblenz rechnete man mit der
Vergangenheit ab - stellenweise
ganz radikal. So wurde das, was
der Krieg von der im 13. Jahr-
hundert begonnenen Stadtmau-
er noch hatte übrig gelassen,
weitgehend dem Erdboden
gleichgemacht. Raum für eine
moderne, „autogerechte“ Innen-
stadt sollte geschaffen werden.
Zudem begingen die Verant-
wortlichen städtebauliche „Sün-
den“, wie zum Beispiel bei der
Anlage des Zentralplatzes Ende
der 60er Jahre.
Damals wurden auch die Über-
reste der „Wasserturmmauer“
(Foto), die den Zweiten Welt-
krieg überdauert hatten, abge-
brochen. Die Stadt Koblenz will
in den kommenden Jahren mit
umfangreichen Investitionen ihr
Herzstück neu gestalten.
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